Nachhaltigkeit – Bedingung für die Zukunft Europas

Pro Europa Una präsentiert die Region Marche als Projekt von Hellmuth Inderwies

Allenthalben bewegen zwei Schlagwörter gegenwärtig die weltweite politische Szene: „Nachhaltigkeit“ und „Veränderung“! Sie thematisieren die Aktionsprogramme staatlicher Obrigkeit unter der Überschrift „Agenda“ und gipfeln in den 17 Zielen und 169 Zielvorgaben, wie sie von den Vereinten Nationen im September 2015 in der Agenda 30 verabschiedet wurden. Basis und Ausgangspunkt dafür waren fast durchwegs nur die Defizite und Destruktionen, die die Menschheit in ihrer Geschichte im Bereich der materiellen und geistigen Grundversorgung und des friedlichen Zusammenlebens verursacht hat und die sie in naher Zukunft beseitigen muss, um überleben zu können. Dass in der Vergangenheit allerdings auch fundamentale Werte geschaffen wurden, die es zu bewahren oder weiterzuentwickeln gilt, kommt in diesen „Notizbüchern politischer Verhandlungen“ über das, was zu tun ist, kaum zum Ausdruck. Es wurden hierbei weitgehend elementare ethische und kulturgeschichtliche Grundsätze und Richtlinien ignoriert, die unabdingbar menschliches Leben zukünftig in gleichem Maße bereichern und vielfach sogar die unabdingbare Voraussetzung für die Beseitigung jener in der Vergangenheit verschuldeten Missstände bilden. Auch das sind unverzichtbare Ressourcen, die in die Zukunft weisen und eine Chance für eine bessere Lebensqualität eröffnen.


Das in Pfaffenhofen von Antonio Cigna gegründete Komitee Pro Europa Una e. V. versteht sich als eine Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, im Rahmen ihrer Bemühungen um die Integration Europas auch an jene notwendige zweite Komponente des Begriffs „Nachhaltigkeit“, der zuerst in der Forstwirtschaft Bedeutung gewann, immer wieder mit Nachdruck zu erinnern und sie zu veranschaulichen. Dies geschieht in sog. „Konferenzen“, die die kulturelle Verflechtung italienischer Provinzen mit dem europäischen Kontinent und vornehmlich auch mit Bayern dokumentieren. Nach „Latium“, „Sardinien“, der „Emilia Romagna“ und der „Lombardei“ standen „Le Marche“ („Die Marken“) im Mittelpunkt eines Projekttags. In Zusammenarbeit mit der Medusa Agentur wurde die an die Adria angrenzende Region mit ihrer Hauptstadt Ancona im Italienischen Kulturinstitut in München vor Augen geführt. Eine Vielzahl von Vertretern europäischer Verbände und Vereine gleicher oder ähnlicher Intention unterstrichen mit ihrer Anwesenheit die Bedeutung dieses Events: Europäische Bewegung, die Sektionen Rosenheim und Hohenbrunn der Europäischen Union, Montgelas-Gesellschaft zur französisch-bayerischen Zusammenarbeit, der polnische Verein Solidarni, die italienische Associazione Nazionale Alpini usw. In der Tat eine europäische „Konferenz“, die hier abgehalten wurde!
Bereits bei der Vorstellung des Projekts durch den Präsidenten von Pro Europa Una, Andrea Masciavé, und der Eventorganisatorin Sonia Muci von Medusa Servizi kam zum Ausdruck, welche „Nachhaltigkeit“ in der Kunst- und Kulturgeschichte der Marken als Grundlage für ein zukünftiges freies und geeintes Europa steckt. Die Antike und die christliche Ethik des Abendlands besitze ausreichend Potential, so ihre Überzeugung, um auch in Zukunft Brücken zwischen den Völkern zu schlagen, gegenseitige Achtung, Solidarität und Freundschaft zu gewährleisten. Sie verpflichte den Menschen zudem, in seinem Streben nach möglichst umfassender Erfüllung seiner Grundbedürfnisse bei der Nutzung vorhandener Ressourcen sorgfältig, gewissenhaft und zukunftsweisend zu handeln. Dass dies in den Marken durchaus auch zum Lebensalltag des Menschen gehört, manifestierte anschließend ein Film über diese ­Region.


Die Brücke zu Europa wurde im zweiten Teil der Veranstaltung in einem Vortrag des ehemaligen Kulturreferenten der Stadt Pfaffenhofen, Hellmuth Inderwies, über das Thema „Le Marche und drei ihrer berühmten Persönlichkeiten“, die markante Spuren in der europäischen Kulturgeschichte hinterlassen haben, veranschaulicht. Raffaelo Sanzio da Urbino, der bis heute das Privileg besitzt, zumeist nur unter seinem Vornamen „Raffael“ bekannt zu sein, bildete den Auftakt. Als Maler und Architekt gehörte er zu den bedeutendsten Künstlern der italienischen und damit auch der europäischen Hochrenaissance. Er wurde vor allem als Bauleiter des Petersdoms in Rom und durch seine Madonnenbilder mit ihrer ausgewogenen harmonischen Komposition berühmt. Am bekanntesten ist wohl die „Sixtinische Madonna“ aus dem Jahr 1512, die sich heute in der Gemäldegalerie Alter Meister im Dresdner Zwinger befindet. Als 11-Jähriger bereits Vollwaise durfte er im jugendlichen Alter von nur 17 Jahren den Titel „Magister“ (Meister) führen. Das Distichon, das Kardinal Pietro Bembo als Inschrift auf sein Grabmal im Pantheon in Rom einmeißeln ließ, bringt seine große Bedeutung zum Ausdruck: „Ille hic est Raphael, timuit quo vinci, sospite / Rerum magna parens et moriente mori.“ („Jener hier ist Raphael, von dem die Natur fürchtete, übertroffen zu werden, um mit ihm zu sterben, als er starb.“)
Ohne Gioachino Rossini, geboren 1792 in Pesaro, wären nicht nur die italienischen, sondern die europäischen Musiktheater in ihrer Programmgestaltung heute sehr viel ärmer. Er ist durch seine Lebensstationen und sein Wirken in Wien, London und Paris bereits in seiner Zeit zu einem italienischen Europäer geworden. Dass er sich den Titel eines Meisters der Opera buffa, der komischen Oper, erwerben konnte, wird verständlich, wenn man eine seiner Aussagen über sich selbst betrachtet: „Ich gebe zu, dreimal im Leben gelogen zu haben: als ich Paganini die Violine spielen hörte, als meine erste Oper durchfiel und als bei einem Bootspicknick ein getrüffelter Truthahn über Bord fiel.“ Giacomo Lombardi, 1798 in Recanati geboren, ist als Dichter, Essayist und Philologe der Dritte, der mit seinen Übersetzungen, seinen Canti und seinen politischen Schriften europäische Geltung besitzt. Aus einer erzkonservativen adeligen Familie stammend, wandelte sich das „wissenschaftliche Genie“, wie ihn Georg Niebuhr bezeichnete, zum Republikaner und Demokraten, der die Einheit Italiens forderte und Europa an seine antiken geistigen Wurzeln erinnerte. Trotz seiner lebenslangen Armut und vieler harter Schicksalsschläge besaß er eine positive Lebensstimmung: „Verzweiflung ist unendlich viel lustvoller als Langeweile!“

Eine Gemäldeausstellung von 13 Künstlern aus der Region Marken, in die Carlo Gentile und Patrizio Moscardelli mit sichtlichem Engagement einführten, bildete den dritten Teil der Konferenz. Die hierbei präsentierten Werke waren in drei Abteilungen gegliedert, in die die drei porträtierten berühmten Persönlichkeiten eingebunden waren: Raffael in eine sog. Frühlings-, Rossini in eine Sommer- und Leopardi in eine Herbstwand. In der Vorstellung und Verkostung von Piceno-Weinen zusammen mit anderen Delikatessen der Marken fand dieser beeindruckende Beitrag zur Integration Europas einen anspruchsvollen geselligen Ausklang. Er machte durchwegs transparent, dass „Nachhaltigkeit“ auch eine historische Dimension besitzt und nicht nur einseitiges modegesteuertes und damit dem augenblicklichen Zeitgeist dienendes politisches „Verändern“ bedeutet, wie es in vielen Agenda-Programmen zum Ausdruck kommt. Letzteres gilt im Übrigen auch in hohem Maße für die Nachhaltigkeitserklärung, die der Stadtrat von Pfaffenhofen am 27. Juli 2017 im Einzelfall sogar mit „mit Herzblut“ verabschiedet hat. Wirksame Nachhaltigkeit setzt Beides voraus: „überlegtes Bewahren“ und „kontrolliertes Verändern“, um ein gewisses Maß an Beständigkeit zu gewährleisten! Und dies verlangt von öffentlichen Mandatsträgern profundes Wissen, Verantwortungsbewusstsein und Spitzengefühl bei der Verwirklichung, wenn der Begriff nicht als einseitiger politischer Veränderungsslogan verstanden oder, wie es der Pfaffenhofener Kulturreferent Steffen Kopetzky zum Ausdruck brachte, nicht zu einer inflationären politischen Vokabel degradiert werden soll.