Alles hat seine Stunde: eine Zeit zu weinen und eine Zeit zu lachen

von Lorenz Trapp

Sie haben gut lachen, die vier Herren. Endlich geht es los. Wir nehmen Abschied vom Bortenschlager, jenem mächtigen Gebäude, in dessen Fassade sich der Niedergang des oberen Hauptplatzes widerspiegelt. Während zwischen Rentamt und Rathaus frisches Leben über neuem Pflaster erwachte und ein motivierender Ruck ging, zwar nicht durchs ganze Land, wie Roman Herzog einst forderte, so doch durch die lokale Geschäftswelt, fiel von der Kirchturmuhr die Zeit auf einen fast ausgestorbenen Platz. Wer geglaubt hatte, eine Elektro-Tankstelle würde locken wie die verführerische Schlange, fand sich wieder im Niemandsland. Doch ein Anfang war gemacht.

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, / Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ Er war ein kluger Mann, der alte „Fritz“ Schiller, und als wäre er gestern noch dagewesen, wirft er seinen Blick wie Tells Geschoss in unsre Stadt. Und er sieht, dass es gut ist. Und ein bisschen Nostalgie darf dann schon sein, wenn das Neue so heftig auf das Alte trifft.
Sie haben also gut lachen, die Herren, und wir vermuten, dass sie heimlich und an versteckten Orten in der ganzen Stadt Zwiebeln aufgehängt haben. Zwiebeln, das weiß doch jedes Kind, saugen die Traurigkeit derer, die dem Alten nachtrauern, auf wie ein Schwamm. Es soll ja Leute gegeben haben, denen das Lachen vergangen ist ob der großen Veränderungen, die nun im Bortenschlager-Areal eine weitere Realisierung finden, und dem drohenden kompletten Lachverlust wirkt man am Besten mit Zwiebeln entgegen. Sie filtern die Luft und binden die Tränen. Wer unbedingt weinen will, kann ja Zwiebeln schneiden.

stunde

Wir werfen nur ein paar Platituden ins Gefecht: Alles neu macht der Mai, auch wenn der Maibaum noch steht, oder: Aus Alt mach Neu. So geht’s auch. Die vier Herren aber zeigen uns, worum’s im Leben wirklich geht: Es gibt eine Zeit einzureißen, und es gibt eine Zeit aufzubauen, und dass man davor vom Alten Abschied nehmen muss, ist ja klar. Ebenso klar ist, dass der Abschied in den ehrwürdigen Räumen des Bortenschlagers stattfand, garniert mit einer zünftigen Brotzeit und inspiriert von einem Fass Bier. Wir beginnen links.

Bernhard Stocker, bekannt als Rennbahn-Gastronom, sorgte für die genannte Verpflegung der illustren Gäs­te jener Abschiedsfeier, bei der – so vermuten wir – zu späterer Stunde wohl doch die eine oder andere Träne aus dem Knopfloch derer sprang, die unzählige Stunden ihres Lebens am dortigen Stammtisch und im legendären Bortenschlager-Saal verbracht hatten. Hans Baierl, der Inves-
tor, investierte – selbstverständlich – ebenso in Bier und Brotzeit, und der „neue“ Bürgermeister Thomas Herker, zu jung für aktive Bortenschlager-Nostalgie, durfte mit, weil. Punkt. Weil Sätze eigentlich ganz sein sollen, fügen wir Hans Prechter hinzu.

Der „alte“ Bürgermeister hatte überhaupt die Idee zum nächtlichen Spektakel, und er tischte auch die besten Geschichten auf: Er hätte von einem Alligator, den der frühere Wirt in seinem – wir glauben’s kaum – Exoten-Zoo gehalten und dem – aus zweifelhaften Gründen – eine fröhliche Stammtischrunde ein nächtliches Bad im kalten Wasser des Marienbrunnes verordnet habe, gelernt, dass Krokodile husten können. Wiewohl wir blauäugig darauf vertrauen und für unsere Kinder hoffen, dass das zeitgenössische Schulwesen solch lebensnahen Biologieunterricht adäquat ersetzen kann, bemühen wir noch einmal Friedrich Schiller: „Das Neue dringt herein mit Macht, / Das Würdge scheidet, andre Zeiten kommen…“, und wir lächeln.