Die Dekadenz der Weihnachtskultur

von Hellmuth Inderwies

Wie nie zuvor schossen heuer in der Adventszeit die Weihnachtsmärkte in bayerischen Landen wie Pilze aus dem Boden. Von Affing über Hexenagger bis Wunsiedel gingen hierfür von nicht weniger als 95 Städten und Gemeinden inszenierte überregionale Werbekampagnen über die Bühne, um mit solcher kommerziellen Wunderdroge die Vorfreude auf ein Fest in eine Kauffreude zu verwandeln. Die Landeshauptstadt München zog allein für neun derartige Unternehmungen propagandistisch zu Felde. Hinzu gesellte sich noch eine unübersehbare Anzahl mit begrenztem lokalen Charakter. Dieses Genre suchte mitunter zu Recht eine gewisse Anonymität zu wahren. Zu ihm darf sich auch jenes Christkindlevent in der Kreisstadt Pfaffenhofen rechnen. Dass es nur ein verlängertes Wochenende in Anspruch nahm, gehörte ohne Zweifel zu seinen großen Vorzügen.
Denn das, was sich da auf dem neu gestalteten unteren Hauptplatz der Kreisstadt abspielte, war kaum dazu angetan, vorweihnachtliche Gefühle zu wecken, geschweige denn auf ein Fest einzustimmen, das zu den wichtigsten Errungenschaften abendländischer Kultur- und Religionsgeschichte zählt. Allzu offensichtlich dominierte der gewerbliche Jahrmarktskrempel über jene wenigen Offerten, die wirklich dem Stellenwert vorweihnachtlichen und weihnachtlichen Geschehens zu entsprechen wussten.

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Geschnitzte Holzfiguren in einer Krippe, die zur Zeit in der Ausstellung im Haus der Begegnung zu sehen ist

Glitzernder Modeschmuck
und konventionelle Geschenke

Neben dem gewohnten Festtagskitsch beherrschten Krawatten-Hemden-Kollektionen als das konventionelle Geschenk an die Männerwelt den Markt sowie glitzernder Modeschmuck für die Allerliebste, die der städtische Wirtschaftsreferent als Wichtel zum rechten Zeitpunkt und ganz heimlich zustellen wird, damit der Überraschungsgag ganz bestimmt seine volle Wirkung erzielt. (Nur nebenbei: In der skandinavischen Literatur ist der Weihnachtswichtel nicht immer nur Glücksbringer. Er macht sich bei seinen Besuchen zuweilen auch ganz verstohlen über die für die Festtage vorbereiteten Speisen und Getränke her.) Und den zumindest zeitweiligen musikalischen Rahmen für diesen Rummel bildeten – um das „besondere“ audiovisuelle Gesamtbild vor der historischen Kulisse des restaurierten Rathauses abzurunden – recht seltsame disharmonische Sphärenklänge, die selbst bei solchem Ambiente sogar in musikbewanderten jugendlichen Ohren als ein durchaus entbehrlicher Störfaktor empfunden wurden. Wären nicht die lebende Krippe, von Glühweinaroma umwölkt, einige wenige Angebote des Kunsthandwerks und Initiativen sozialer Art gewesen, hätte die Atmosphäre einen Sonderpreis für ihre bunt schillernde Sterilität erhalten müssen.

Weihnachtsfest mit
vorchristlicher Tradition

Dabei vermittelt das Weihnachtsfest mit seiner sehr weit zurückreichenden geschichtlichen Vergangenheit für eine volksnahe und zugleich seiner kulturellen Bedeutung entsprechenden Präsentation eine Unzahl von Impulsen und Anregungen. Und damit nicht zuletzt auch für eine ihm angemessene „Vermarktung“! Die Möglichkeiten hierzu sind keineswegs nur christlicher Vorstellungs- und Glaubenswelt zuzuordnen, sondern ergeben sich auch aus vorchristlichen Ereignissen und Bräuchen, die bis heute zum jährlich wiederkehrenden Lebensrhythmus des Menschen gehören.
Das deutsche Wort „Weihnacht“ (= „geweihte Nacht“) lässt (im Gegensatz zum englischen „Christmas“ oder dem italienischen „Natale“) noch auf keinen Zusammenhang mit dem neutestamentlichen Geschehen schließen. Es verweist ursprünglich auf die vorchristliche Tradition des germanischen Julfests im Rahmen der Wintersonnenwende. Die wiederkehrende Kraft des Lichts der nun wieder länger werdenden Tage gewährte Schutz vor bösen Geistern. Dies war Anlass, kultische Opfer darzubringen und eben diese Zeit als eine „geweihte“ zu feiern. Licht bedeutet zudem Wachstum jener Bäume, die bei den Germanen als Glücksbringer galten, weil ihnen geisterscheuchende Kräfte nachgesagt wurden: Mistel, Eibe, Wacholder und eben auch Fichte und Tanne, wie sie bis heute mit bunten Kugeln, Sternen und Lichtern geschmückt als Christbäume symbolischen Charakter besitzen. Nicht nur bei den Germanen, sondern auch im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient sind religiöse Feste bekannt, die zu diesem Zeitpunkt stattfanden. So verehrten die Römer in ihren Tempeln jeweils am 25. Dezember einen „Sol invictus“, einen „unbesiegbaren Sonnengott“, mit aufwändigen Spielen und verherrlichten später die Geburt des Sonnengottes Mithras in einem über das römische Imperium hinaus verbreiteten Kult als zentrales Ereignis der Wintersonnenwende. Sie fiel nach dem unkorrigierten Julianischen Kalender damals auf eben jenen Tag, an dem auch das christliche Weihnachtsfest begangen wird.

Neuer Inhalt und Sinn
für den Sonnenkult

Es war für das Christentum nicht leicht, die altheidnischen Vorstellungen und Bräuche zu überwinden bzw. ihnen einen neuen Sinn zu geben. Dem heiligen Nikolaus als bravem Mann ist es nur bedingt gelungen, jene übel gesinnten heidnischen Gestalten eines Krampus, eines Wilden Luz oder eines Knecht Ruprecht, die in den Raunächten über die Menschen herfallen, gänzlich zu entmachten. So mag es auch nicht verwundern, dass man die Geburt Christi und damit das Weihnachtsfest erst sehr spät, nämlich zu Beginn des 4. Jahrhunderts, zu feiern begann. Vermutlich ist dies auf die Initiative des römischen Kaisers Konstantin d. Großen (306 – 337) zurückzuführen. Er war bis zu seinem Übertritt zum Christentum ein großer Anhänger des Mithraskults, der gewisse Ähnlichkeiten mit dem biblischen Geschehen aufweist. Mithras wurde in einer Höhle geboren, Christus in einem Stall (nach Lukas). In Bethlehem gibt es eine Geburtsgrotte, über die die heilige Helene, die Mutter Konstantins, die Geburtskirche errichten ließ. Ein Datum der Geburt Jesu ist nicht bekannt. Vorweg Kirchenväter, die sich damit beschäftigten, gehen zumeist davon aus, dass dieses Ereignis nicht im Winter anzusiedeln sei, weil seinerzeit in Palästina die Hirten mit ihren Herden nur die Monate von März bis November auf der Weide verbracht hätten. So übernahm man eben den 25. Dezember, jenen Tag des Sonnenkults, und verlieh ihm unter anderer Voraussetzung, nämlich der Geburt Jesu, neuen Inhalt und neuen Sinn. Dass Gottes Sohn, wesensgleich mit dem Vater und nicht dessen Geschöpf und auch nicht ein von ihm adoptiertes Kind, in die Welt gekommen ist, wurde schließlich als kirchliche Lehre durch das Konzil von Nikäa (325) klärend fixiert. Erst ab diesem Zeitpunkt wird Weihnachten allmählich zu einem christlichen Hochfest.

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Kultur mit Buch trifft Gabel mit Torte: Skulpturen der Holzschnitzer

Exotisches Jahrmarktsangebot
wirkt kaum als Wunderdroge

Während Konstantin, der dem Christentum durch sein Toleranzedikt von 313 neben dem herkömmlichen Götterglauben freie Religionsausübung gewährte, lange eine Vermischung derartiger religiöser Vorstellungen im Auge hatte, ging es den Christen um eine Überwindung des heidnischen Sonnenkults, ohne dass sie freilich die Nachwirkung alter Sitten und Bräuche verhindern konnten. Entscheidend war, dass in ihrem Sinne nicht mehr die Sonne angebetet wurde, sondern der, der die Sonne erschaffen und mit seiner Menschwerdung Sonne in die Welt gebracht hat. Darin liegt das eigentliche Wunder der Weihnachtszeit.

Wenn man von Pfaffenhofener Bürgern hören kann, dass der Christkindlmarkt auf den oberen Hauptplatz gehört, weil eben hier allein schon durch die Kulisse von Stadtpfarrkirche und Spitalkirche sowie von Haus der Begegnung und von den Bürgerhäusern die rechte Atmosphäre und Grundstimmung gegeben sei, dann kann man dies nicht so recht von der Hand weisen. Sie besitzen zumindest ein Gespür dafür, wie von jeher Weihnachten mit seiner religiösen Vorstellungswelt hineinwirkt in den profanen Alltag eines jeden Menschen und wie christliches Gedankengut sich vermischt und harmonisiert mit überkommenen weltlichen Sitten und Bräuchen. Und eben das sollte auch ein Christkindlmarkt als Grundtenor zum Ausdruck bringen, wenn er schon diesen Namen trägt. Ein noch so exotisches und vielfältiges Jahrmarktsangebot wirkt kaum als Wunderdroge. Der Kommerz allein schafft noch keine Seele.

Wer die gegenwärtige Ausstellung der Holzschnitzer in der „Städtischen Galerie“ besucht, der blickt auf eine religiöse und eine profane Welt, die sich in einem Raum begegnen. Man hat es hier hervorragend verstanden, durch die Auswahl und Komposition der Exponate christliches Gedankengut und menschlichen Alltag zu einer Symbiose zu verschmelzen. Krippen und abstrakte geometrische Figuren und profane Gegenstände stehen sich nicht im Wege. Sie bilden eine harmonische Einheit und vermitteln zusammen weit mehr Weihnachten als viele jener zur Massenveranstaltung gewordenen so genannten Christkindlmärkte mit ihrer oberflächlichen Aufdringlichkeit.