Gedanken zur Landtagswahl 2008 Das politische (Kult-)Marketing hat auch Bayern erreicht

von Hellmuth Inderwies

Es ist kein Geheimnis mehr, dass heutzutage Politik wie eine Ware verkauft wird und dass somit Wahlkämpfe, sollen sie erfolgreich sein, von Marketingexperten geplant und durchgeführt werden. „Politisches Marketing“ und „Wahlkampfmanagement“ erleben seit einiger Zeit eine Hochkonjunktur in der wissenschaftlichen Diskussion. Sowohl aus der Sicht der Gesellschaft wie aus der Perspektive der politischen Akteure werden solche Themen und Sachverhalte empirisch untersucht und beleuchtet. So unterschieden sich der kommunale bayerische Wahlkampf vor einigen Monaten und der vor kurzem auf Landesebene über die Bühne gegangene augenscheinlich von denen früherer Jahre. Sie haben auch in Pfaffenhofen und seiner ländlichen Region gänzlich andere Wesenszüge angenommen.
Auf dem „Markt der Wähler“ gilt es mit strategischer Planung Kandidaten vorweg als Stars und das Parteiprogramm lediglich als Schlagwortregister so wirkungsvoll zu verkaufen, dass man sich gegenüber dem politischen Konkurrenten zumindest für die bevorstehende Wahl Wettbewerbsvorteile verschafft. Das amerikanische „political campaigning“, also eine intensive Wahlkampfkampagne gleich einem militärischen Feldzug, dient als Vorbild für ein solches Unternehmen. Der Marktanteil an Wählern wird als Ergebnisziel zahlenmäßig definiert. Er soll, je nach Erwartungshaltung und Marktanalyse, beispielsweise 5 oder 50 Prozent plus X betragen.

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„Wahlkampf“: ein Bild mit dem Titel „…badder than all the rest“© MM

Von Demokratiemüdigkeit zum merkantilen Showgeschäft
Es drängt sich die Frage auf, wo hierzulande die Ursachen für einen solchen Wandel des „Wahlkampfs“ (Man darf diesen martialischen Begriff heute mit ruhigerem Gewissen benutzen als in früheren Zeiten unserer Republik.) und seines neuen Stils „Weg von sachlicher Information! – Hin zum merkantilen Showgeschäft!“ wohl zu suchen seien. Die Hintergründe sind vielfältig und Ergebnis eines längeren Prozesses, der sich seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert allmählich durchsetzte. Erst ein permanent stark zurückgehendes Interesse am Urnengang gab ein alarmierendes Signal zum Nachdenken. Allein in den letzten zehn Jahren ist in Bayern bei den Landtagswahlen die Wahlbeteiligung um über 10 % auf einen Tiefstand geschrumpft (1998: 69,8%; 2008: 58,1%). Dies gilt analog auch für den Stimmkreis 124 „Pfaffenhofen-Schrobenhausen“. Mit „Demokratiemüdigkeit“ bzw. „Demokratieverdrossenheit“ suchen manche Politiker bis heute den Prozess etwas zu vordergründig und salopp zu erklären. Beide Phänomene rühren wohl in erster Linie davon her, dass Regierende wie Mandatsträger ihren Kontakt zur Basis oder – besser ausgedrückt! – ihre Orientierung hin zum Volk vielfach verloren haben. Während einer langen Legislaturperiode wird allzu leicht vergessen, von wem ihnen die befristete politische Macht eigentlich anvertraut wurde. Wer nur vor Wahlen Vereinsveranstaltungen, Ausstellungen, Märkte und Demos besucht, verliert im Laufe der Zeit das Wissen um Interessen und Sorgen der Mitbürger und das Gespür für die dem Gemeinwohl dienenden zukünftigen Notwendigkeiten und deren Planung.

Verstärkt wird ein solches Phänomen dadurch, dass ein Mandat aus rein egoistischen Gründen erworben wurde oder sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass es auf Lebenszeit verliehen ist. Die Politik reagiert gerade auch deshalb zu träge auf vorhandene Unzulänglichkeiten im gesellschaftlichen Leben, mitunter sogar nur auf augenblickliche Sachzwänge, wenn diese über Medien oder Bürgerinitiativen ein breites Aufsehen erregen. Zudem sind während einer Legislaturperiode die Parteien zu wenig aktiv, lassen die breite Öffentlichkeit (gemeint ist der „Bürger eines jeglichen Couleurs“!) nur sporadisch am politischen „Tagesgeschehen“ teilhaben und bevorzugen in zu hohem Maße und zu offensichtlich ihren harten Kern von Mitgliedern, die für ihre Zwecke und für Dienstleistungen (vor allem auch im Wahlkampf!) unentbehrlich sind. Deshalb nimmt die sachbezogene und auch emotionale Bindung von Wählern an sie mehr und mehr ab. Es vollzieht sich zum einen allzu häufig deren Abwendung von der Politik, die sie nur mehr passiv über die Medien, dabei oft nur bruchstückhaft, wenig profund oder mitunter sehr subjektiv (vorweg Fernsehen und Internet) aufnehmen. Sie bleiben vielfach den Wahlen fern, weil man ja sowieso „als Einzelner nichts auszurichten vermag“.

Zum andern vergrößert sich das Potenzial an Wechsel- und Protestwählern, die mit manchen politischen Maßnahmen und Vorgängen unzufrieden sind, wie es u. a. das bayerische Rauchergesetz, das überstürzt eingeführte G8, die mangelhafte Lehrerversorgung, unüberlegte und unnötige Gebühren und Abgaben und vor allem die Schönrederei von offensichtlichen politischen Fehlentscheidungen bzw. Misserfolgen transparent machten. Eine größere Vielfalt von Parteien und Gruppierungen im Parlament ist häufig die Folge. Zwar ist hier beim Entscheidungsprozess ein breiter Spiegel der Gesellschaft durchaus wünschenswert, er birgt aber auch die Gefahr, dass bei einer zu starken Zersplitterung der politischen Kräfte demokratische Entscheidungen, die nun einmal stabile Mehrheiten voraussetzen, zu einer außerordentlich zähen Angelegenheit werden. Nimmt ein solcher Trend überhand, drohen „Weimarer Zeiten“.

Übertriebene Hofierung und Täuschung des Wählers
Die offensichtliche Krise der Parteien zeigt sich vielfach auch schon bei der Nominierung von Kandidaten auf den Wählerlisten. Man darf sich zumindest fragen, ob das nun mittlerweile auch bei uns angelangte politische Kultmarketing der richtige Weg ist. Hierbei geht es weniger um fundierte Informationen über Programme, über Dringlichkeiten und zukünftige Entscheidungsprozesse. Wer diesbezüglich bei der letzten Landtagswahl Richtlinien und Vorhaben der Parteien studiert hat, der entdeckte, von den wenigen ohnehin bekannten gegensätzlichen Grundpositionen abgesehen, viele identische Parolen. Gleichheit wiederum verhindert eine Profilierung, lässt eine Auseinandersetzung mit einem Rivalen und damit einen Gewinn an Stimmen und einen Wahlerfolg kaum zu.

Es geht bei diesem Kultmarketing um Anderes. Es geht um eine übertriebene Hofierung und vielleicht auch Täuschung des Wählers, indem man ihm möglichst jene Prominenten, Stars und Idole der Gesellschaft offeriert, die er wegen ganz anderer Motive als der politischen verehrt, sie in den Himmel hebt und von denen er glaubt, dass sie immer und überall so kompetent sind, dass sie ihm als Zauberkünstler jeglichen Wunsch im Leben erfüllen können. Ein Ausnahmesportler oder ein berühmter Filmstar muss in den Augen vieler zwangsläufig auch ein Literaturexperte, Finanzfachmann, Nahrungsmittelsachverständiger usw. und nicht zuletzt auch ein Spitzenpolitiker sein. Die Produktwerbung von Unternehmen dient hier den Parteien beim Wahlkampf als Muster. Außerordentliche Fähigkeiten auf einem Gebiet und ein damit verbundener großer Bekanntheitsgrad aber bieten noch lange keine Gewähr dafür, dass ein Mensch ein Alleskönner ist und sich damit auch auf der politischen Bühne bewährt. Gute Politik zu machen, setzt wie das Meiste im Leben einen langen, oft mühsamen Lernprozess voraus. Das gilt auch für die, die glauben, dass mit dem Gewinn eines Mandats gleichzeitig die notwendigen geistigen Gaben und Fähigkeiten für ihr Amt automatisch mitgeliefert werden.

Nur informierte Stimmen sind wertvolle Stimmen

Die Demokratie als die „schlechteste Regierungsform außer den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind“, wie sie Winston Churchill auf Grund ihrer allzu hohen Ansprüche lakonisch charakterisierte, braucht andererseits aber auch – und das vordringlich – den kritischen Bürger und damit kritischen, d. h. urteilsfähigen Wähler, der weder den Wahlkampfkampagnen zum Opfer fällt noch dem Zufallsprinzip huldigt, wenn er erst in der Wahlkabine seine Entscheidung fällt. Allein die Stimme dessen ist bei der Wahl auch eine wertvolle Stimme, der sich ständig informiert, gemeinschaftlich fühlen und denken kann und aktiv am Gemeinwohl mitzuwirken versucht. Nur Mehrheiten, die unter solchen Voraussetzungen geschaffen werden, widerlegen Friedrich Schillers These „Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen´gen nur gewesen.“ (Leo Sapieha in „Demetrius“, 1. Aufz.)