Die Katharsis der Wechselbäder – Ausstellung von Dina R. Forster-Wolff

Düster, derb und gern daneben“ lautet das Rahmenthema der ersten Einzelausstellung von Dina Rosemarie Forster-Wolff in der Städtischen Galerie im „Haus der Begegnung“. Dass Premieren immer große Erwartungen wecken, weil sie meist einen Überraschungseffekt beinhalten, gehört zu ihrem Wesen. Was die aus dem Salzkammergut stammende und in der Hallertau beheimatete Künstlerin allerdings hier vor Augen führt, versetzt den Besucher „in ein Wechselbad der Gefühle, der Vorstellungen, der Gedanken und Phantasien“, wie es Laudator Hellmuth Inderwies bei der Vernissage zum Ausdruck brachte.

Wie bei jenem seelischen Reinigungsprozess der antiken Tragödie, der durch Schrecken, Schauder, Rührung und Jammer zu einer inneren Läuterung führen sollte und den die alten Griechen „Kátharsis“ („Kάϑαρσις“) nannten, so muss sich jemand fühlen, der sich intensiv mit den Tusche-Federzeichnungen der Künstlerin beschäftigt und sich auf sie einlässt.

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Wenn Kunst „Gesundheitsäußerung der Menschheit“ ist, wie der Expressionist Bernhard Hoetger, Mitglied der Worpsweder Künstlerkolonie, behauptet hat, dann vollzieht sich hier der Heilungsprozess beim Betrachter der Bilder auf drei Stufen. Auf der ers¬ten erfährt er eine Schocktherapie, die ihn zu einer ungeschminkten Selbsterkenntnis im Sinne jenes „Erkenne dich selbst!“ („Γνῶθι σεαυτόν“), das als Inschrift auf dem Apollotempel des griechischen Delphi steht, führen soll.

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Ferdl

Er soll Einsicht gewinnen in die Begrenztheit des eigenen Wesens und die Irrwege des eigenen Handelns. Mit „Zeit“ ist ein Bild betitelt, in dem eine übergroße Sanduhr, in der Totenköpfe rieseln, im Zentrum des Daseins steht. Sie verweist darauf, wie winzig sich die Spanne ausnimmt, die das Leben des einzelnen Menschen umfasst. Er selbst wird nur als kleine nackte Randerscheinung in seiner kreatürlichen Armut dargestellt und kann, eingebunden in die Bedingungen seines Daseins, nicht über sich verfügen. Barockes Weltbild, das vom 30-jährigen Krieg beeinflusst wird, tritt hier vor Augen: Der Mensch als „ein Spiel der Zeit“! Es wird das Vanitas-Motiv dieser Epoche transparent, das die Eitelkeit, Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens beinhaltet. Andreas Gryphius, der große deutsche Barockdichter, weist in seinem Sonett „Menschliches Elend“ darauf hin:

„Was sind wir Menschen doch!
Ein Wohnhaus
grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks,
ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz aller Angst
und Widerwärtigkeit,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.“

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Der innere Schweinehund und seine dienstbaren Geister

Und selbst ein Bild, das den Titel „Meine Muse“ trägt, erinnert den Betrachter an ähnliche epochale Wesenszüge. Eine menschliche Gestalt, halb Mann – halb Frau, halb Fleisch – halb Skelett, befindet sich mitten in einer trostlosen Landschaft. Wie in John Miltons „Paradise Lost“ (1667) scheinen Adam und Eva, als Sterbliche untrennbar vereint, das Paradies verlassen zu haben, das hinter ihnen in Flammen aufgeht. Doch dies ist nur die historische Kulisse, die die Künstlerin für die Vermittlung ihrer Intention verwendet. Das besitz¬anzeigende Fürwort „Meine“ drückt ihre subjektive Sicht aus. Selbst muss sie sich eine Muse schaffen, eine Schutzgöttin ihrer Kunst, zumal es in der Antike zwar neun beschirmende Wesen gegeben hat, jedoch keines für Architektur, Bildhauerei und Malerei, die den Status eines Handwerks besaßen.

Aber sie schafft sich keine Muse der schönen Künste. Ihre Muse ist eine Todgeweihte. Die Zeit der schönen Künste geht für sie zu Ende, weil die Gegenwart keine Schönheit mehr kennt. Sie orientiert sich nur noch an einem ungebremsten, sinnlosen ökonomischen Wachstum, wie es in dem Bild „TTIP – Freihandelsabkommen“ zum Ausdruck kommt. Die Wirtschaft ist zu einem unersättlichen Moloch geworden, der in seiner sexistischen Gier zu produzieren nicht mehr kontrolliert werden kann. Die Apokalypse steht bevor. „Der letzte Apokalyptische“ ist von der Künstlerin bereits gezeichnet.

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Der letzte Apokalyptische

Nach solcher Erschütterung führt die Ausstellung auf eine zweite Stufe des therapeutischen Wechselbads der Katharsis. Man begegnet bunten Vogelportraits von ästhetischer Schönheit. Die große Kunstfertigkeit, mit der die filigranen Tusche-Federzeichnungen gefertigt wurden, sind Beleg dafür, dass Dina Rosemarie Forster-Wolff Graphik und Design studiert hat. Hier spielen neben der Genauigkeit die Symbolik und die Schönheit der Form und Farbgebung eine zentrale Rolle. Der griechische Philosoph Platon hat auf Grund der Anmut der Vögel den Menschen als zweibeiniges Lebewesen ohne Federn definiert, worauf dann allerdings der alte Spötter Diogenes, jener Kyniker, der in offenen Säulengängen und in Fässern gelebt hat, in der Akademie von Athen den Anwesenden ein gerupftes Huhn vor die Füße geworfen haben soll mit dem Ruf: „Da haben wir den Menschen Platon!“ Das freilich verhinderte nicht, dass die Ästhetik, die schöne Sinnesempfindung, seit der griechischen Antike bis ins 19. Jahrhundert oft schlechthin als ein zentraler Wesenszug aller Kunstformen gegolten hat.

Auf einer dritten Ebene begegnet man letztendlich Kunstwerken der Enthüllung und Entlarvung. In übertriebener Form werden männliche ländliche Typen in ihrer charakteristischen Arbeitswelt vor Augen geführt. Aber es handelt sich bei „Ferdl“, „Kurti“ und „Fritz“ nicht um kraftstrotzende muskulöse Bauernburschen, sondern um Karikaturen, in deren krankhaft verzerrten Gesichtern nur der nackte sexuelle Trieb und die erotische Begierde geschrieben stehen. Idealvorstellungen werden ins Gegenteil verkehrt, mit harter Satire entlarvt und der Lächerlichkeit preisgegeben.

Auch die Darstellung „Der innere Schweinehund und seine dienstbaren Geister“ gehört zu diesem Genre. Wie sehr der Mensch dem Alkoholismus verfallen kann, wird auf sarkastische Art und Weise in der Verkörperung eines Paschas, der eine Krone trägt, in der sich seine verunstaltete hässliche Visage gewissermaßen spiegelt, vor Augen geführt. Diese Doppelgesichtigkeit und der tierische Habitus der befellten Figur sind Folgen von verderblicher Sucht, Entrücktheit und irrer Phantasien im Rahmen einer zügellosen Orgie. Dazu gesellen sich gleichfalls berauschte gnomenhafte Geister als Gesinde.

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TTIP-Handelsabkommen

Die harmonische Welt der schönen Künste findet hier ein Ende, die göttlichen Musen der Ästhetik haben ihre Bedeutung verloren. Aber es ist die Erkenntnis gewonnen, worin das Elend dieser Welt besteht. Eine geistige und emotionale Distanz ist erreicht, um Defizite unseres Daseins schonungslos darzustellen und sie anzuprangern und vielleicht mit diesem pädagogischen Holzhammer eine Heilung zu bewirken. Die erste Einzelausstellung von Dina Rosemarie Forster-Wolff „Düster, derb und gern daneben“ wird bei Kunstfreunden zu sehr intensiven Diskussionen über die Kunst der Gegenwart führen, weil sie auf der Antithese von Provokation und Schönheit aufbaut, eine innere Spannung besitzt und damit in der Tat den Besucher in ein Wechselbad emotionalen und geistigen Erlebens versetzt.