Stille Tage im Klischee

von Lorenz Trapp

Vor Kurzem – ich erwähne es immer wieder gerne – hat mir jemand, als ich in einem sozialen Medium monierte, dass, wenn man sich schon über die Vignetten-Pläne des Verkehrsministers echauffiere, man auch das Wort „Vigniette“ korrekt schreiben möge, Folgendes klargestellt: Es käme nur auf den Inhalt an, die Form wäre nicht so wichtig. Da schau her.

In diesen stillen Tagen, in denen wir so beschäftigt sind, für unsere Lieben hübsche (Form) Weihnachtsgeschenke vorzubereiten, die auch einen Sinn (Inhalt) haben sollen, kann ein zartes Gemüt wie meines durchaus ins Straucheln kommen. Stellen Sie sich vor, sie fänden unterm Tannenbaum eine Flasche Whiskey, allerdings nicht gefüllt mit dem braunen Destillat vom schottischen Hochland, sondern mit ganz banalen Buchstaben, jeder für sich auf einem von vielen klitzekleinen Papierschnipseln, die Sie, wenn Sie das vor lauter Enttäuschung noch wollen, in Form bringen können – damit das Ganze auch einen vernünftigen Inhalt hat. Wäre das Geschenk von mir, die richtige Reihenfolge der Buchstaben lautete: „Es gibt kein Problem auf der Welt, das nicht mit einer Flasche Whiskey zu lösen wäre“. Falls Sie selbst keine Lust haben, den Buchstaben im Sinne einer korrekten Orthographie Leben einzuhauchen, können Sie diese Aufgabe genauso gut an einemillionundsiebzehn Schimpansen delegieren: Wenn diese possierlichen Verwandten aus dem Tierreich unendlich lang auf einer PC-Tastatur Buchstabenfolgen erzeugen, erscheint irgendwann – die Wahrscheinlichkeitsrechnung macht’s präziser – das oben genannte Hemingway-Zitat ebenfalls auf dem Bildschirm. Leider, ich muss Sie erbarmungslos daran erinnern, hilft Ihnen der Tipp gar nichts: Die Flasche ist ja leer.

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In diesen stillen Tagen sind nur die Weihnachtsmärkte voll. Der Inhalt ist vorgegeben: „Es weihnachtet sehr“. Die Form dürfen wir selbst bestimmen. Ob Weihnachtsmarkt oder Wintermarkt, ob Christkindlmarkt oder Wichtelmarkt – wo Markt drauf steht, ist auch Markt drin, und wo Christkindl drauf steht, ist auch was drin. Das Christkindl, Sie erinnern sich, gemahnt uns an die Geburt Christi, an Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Zu finden ist es, wenn man mit Demut und Gottvertrauen dem Stern von Bethlehem folgt. Ein paar Weise aus dem Mittleren Osten haben uns das auf dem Rücken ihrer Kamele vor locker geschätzten 2000 Jahren erfolgreich vorgemacht.

In diesen stillen Tagen holen wir Christen im Mittleren Europa altbewährte Klischees aus dem Setzkasten, lassen den Druckstock niedersausen auf die Weihnachtszeit – und schon klingen die Glöckchen, schon wärmen die Glühweine, schon schmecken die Bratwürste so weihnachtlich, dass ein Mehr kaum auszuhalten wäre. Um die Krippe in Bethlehems Stall scharen sich nur Schafe, anderes Getier und eben unsere Weisen. Nun gut, sie hatten den Stern von Bethlehem als Wegweiser, ein Wettbewerbsvorteil, den wir Armen nie und nimmer egalisieren können, doch wenn wir Weihnachten finden wollen, dann finden wir es auch, und wenn wir es selbst formen müssen!

Seit Kurzem – ich erwähne es nicht gerne – begegnet mir in der Stadt eine wilde Horde von Info-Säulen. „Eisstadion 950 m“, „Volksfestplatz 550 m“ steht da zu lesen, „St. Johannes Baptist 250 m“, „Parkhaus Zentrum“ und „Haus der Begenung“. Begenung? Ja, jetzt stell dich doch nicht so an, Herr Trapp, das menschliche Hirn ist durchaus in der Lage, so einen formalen Lapsus mit Inhalt geradezubiegen: Begegnung! Nicht begegnet ist mir auf den Säulen der Hinweis auf das „Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus“ und auf den „Coca-Cola-Weihnachtstruck“. Um den Truck mach ich mir keine Sorgen: So schrill und laut wie dieses Raumschiff aus der Galaxia Commerciale demnächst auf dem Christkindlmarkt in unserer kleinen Stadt aufschlagen wird, so eifrig trampelnd werden Kinder- und Erwachsenenfüßchen zu ihm strömen.

Und der Stern von Bethlehem wird vor Neid erblassen. Wenn nicht gar verblassen.