Thema:Schule – Disskussionen, Berichte, Reportagen, Kommentare

Das Thema Schule wird nicht erst seit PISA in Medien, Politik und Gesellschaft ausführlich und heftig diskutiert. Da wird es Zeit, dass sich auch die Jugend äußert. Unsere Jugendredaktion beleuchtet die Frage aus unterschiedlichen Perspektiven: lokale Problematiken, eigene Erfahrungen, Hintergrundinformationen, neue Ideen und alternative Modelle. Gemeinsam haben die Texte, dass sie alle von Jugendlichen stammen, also von denen, die unter der Krise unseres Bildungssystem noch leiden oder deren Schulerfahrung zumindest noch sehr frisch ist.

SCHULE UND DANN?

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von Sabine Rödel

Viele Jugendliche wissen auf diese Frage noch keine Antwort. In welche Richtung sollen sie sich orientieren? Was entspricht ihren Neigungen und welcher Beruf ist wirklich interessant?
Noch während der Schulzeit können sie Informationsveranstaltungen der Schulen und Universitäten besuchen, sowie Berufs- und Studienberatung in Anspruch nehmen. Manchmal führt auch ein Praktikum zum späteren Berufsziel.
Eine interessante Alternative wäre sich ein Jahr Zeit zu nehmen um ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr (FSJ; FÖJ) zu leisten oder sich für einen sozialen Dienst im Ausland zu entscheiden. Das FSJ ist für jeden geeignet, der die Vollzeitschulpflicht erfüllt hat und zwischen 16 und 26 Jahren alt ist. Dabei können sich die Jugendlichen zwischen verschiedenen Schwerpunkten entscheiden, wie zum Beispiel pflegerisch (Krankenhaus, Behinderteneinrichtungen), pädagogisch (Kindergarten, Jugendzentrum), kulturell (Theater, Museen) oder ökologisch (Bund-Naturschutz). Das FSJ ist sowohl in Deutschland als auch im Ausland möglich. Der Jugendliche erhält ein Taschengeld und alle Sozialversicherungen sowie am Ende des Jahres ein qualifiziertes Zeugnis. Dieses wirkt sich meistens sehr positiv bei der Lehrstellenbewerbung oder Universitätssuche aus. (mehr Informationen unter: www.bmfsfj.de oder www.pro-fsj.de )
Wer nach der Schule bereits konkrete berufliche Vorstellungen hat, kann sich direkt für einen Ausbildungsplatz bewerben oder ein Studium beginnen. Auch nach einer Lehre ist das Erlangen der allgemeinen Hochschulreife durch den Besuch der Berufsoberschule (BOS) möglich.
Der Schulabschluss Mittlere Reife berechtigt zum Besuch der Fachoberschule (FOS) mit dem Abschluss der fachgebundenen Hochschulreife. Dabei hat man die Wahl zwischen dem technischen, wirtschaftlichen, sozialen oder gestalterischen Zweig.
Entscheidend bei der Berufswahl ist, die eigenen Interessen sowie eigene Stärken und Schwächen frühzeitig heraus zu finden um sich für den richtigen Beruf entscheiden zu können.

Das andere Gesicht der Hauptschule

Die Hauptschulen der Region beweisen: Das Gerede über „Problemschulen“ verzerrt die Wirklichkeit, die aber auch nicht beruhigend ist

 von Julian Knapp

Beim Stichwort „Rütli-Schule“ legt Hauptschulrektor Reinhard Bachmeier die Stirn in Falten. Klar, die Situation in Pfaffenhofen ist mit der in Berlin nicht zu vergleichen. Trotzdem hat er oft den Eindruck, die Berichte über Rütli prägten das Bild der Hauptschule in der Gesellschaft mittlerweile. Diese von Vorurteilen bestimmte Wahrnehmung der Wirklichkeit versetzt Bachmeier in Rage: „Von wegen ‚Probleme der Hauptschule’. Als ob hier der Ursprung läge. Das sind doch Probleme der gesamten Gesellschaft, die in unsere Schule getragen werden.“

Der Spieß lässt sich auch umdrehen. Übereinstimmend verurteilen die Haupt-schulrektoren von Pfaffenhofen, Schweitenkirchen, Geisenfeld und der Rektor der Schulberatung des Landkreises das Zerrbild der Hauptschule in der Gesellschaft. Das schlechte Image sei vielmehr der Grund vieler Probleme wie mangelnder Motivation bei Schülern und zu wenig Lehrstellenangeboten von Unternehmen.

Die Probleme am Arbeitsmarkt machen auch den Hauptschulen im Landkreis zu schaffen. Auch wenn die Lehrstellensituation für ländliche Schulen wie Schweitenkirchen und Geisenfeld vergleichsweise sehr gut ist, in der Region insgesamt steigt der Druck. Die Geschäftsstelle der Arbeitsagentur in Pfaffenhofen meldet derzeit 433 Bewerber ohne Lehrstelle, was einem Anstieg um mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.

Der Druck auf Hauptschüler hat sich auch wegen der Gymnasiasten und Realschüler, die heute in Lehrberufe drängen, vergrößert. Rektor Bachmeier problematisiert auch die Veränderung der Lehrberufe: Kfz-Mechaniker zum Beispiel, früher ein beliebter Ausbildungsberuf für Haupt-schüler. Nach der Umstellung auf den Kfz-Mechatroniker scheitern nun viele
am höchst anspruchsvollen Theorieteil der Ausbildung, der für Bachmeier an der Realität vorbei geht: „Am Ende stehen sie bei Audi am Fließband.“

Stelzengänger-Skulptur vor der Hauptschule Pfaffenhofen: Symbol für die wacklige Lage der Schüler?

 

Ein weiteres, dringendes Problem ergibt sich ebenfalls aus den schlechten Jobaussichten: die mangelnde Motivation. „Es sieht doch jeder, wie die, die unzählige Bewerbungen schreiben, doch nur Absagen bekommen. Wozu dann lernen?“, fragt die 16-jährige Schülersprecherin der Hauptschule Pfaffenhofen, Lisa Wellmann.

„Lesen, Rechnen und Schreiben wollen alle lernen“, sagt Reinhard Bachmeier. Fragt sich, wie Wille und Motivation verloren gehen. Einen möglichen Grund sehen Psychologen und Pädagogen im erhöhten Druck, der auf den Schülern lastet. Eine bundesweite Studie des Deutschen Jugendinstituts an Hauptschulen zeigt: 41 Prozent der Schüler weisen Schlafstörungen auf, gut ein Drittel leidet an starken Kopfschmerzen, fast genauso viele an Magenschmerzen. Gefragt, was sie am meisten belastet, nannten die Hauptschüler am häufigsten (31%) den Umstand, nicht zu wissen, was aus ihnen werden soll. Gut die Hälfte schätzte die Jobaussichten als unsicher ein.

Reinhard Bachmeier nennt auch die Einführung der sechsstufigen Realschule in Bayern als Grund für höheren Druck. Der Wechsel zur Realschule ist seit dem erschwert. Noch endgültiger entscheidet sich bereits in der vierten Klasse der Grundschule der weitere Weg. Das sei nur gefühlsmäßig so, meint Beratungsrektor Sperr. Es gäbe schließlich viele Weiterbildungsmöglichkeiten nach und während der Lehre. Auch die Mittlere-Reife-Klasse an Hauptschulen ist eine Option, selbst wenn diese den Druck auf die restlichen Hauptschulabsolventen wei- ter erhöhe. Die vielen Alternativen in Bayerns Bildungssystem machen es den Schülern ebenfalls schwer, das weiß auch Sperr: „Es gibt 25 verschiedene Wege zur mittleren Reife.“

Doch Schulberatungsrektor Sperr hat Hoffnung und sieht vielversprechende Ansätze der Bildungspolitik. Man achte nun mehr auf individuelle Ansätze einzelner Schulen und deren Erfolge. Auch bekämen die Schulen mehr Freiraum für Modellprojekte, Praxisklassen (Geisenfeld) oder Ganz-tagsklassen (Pfaffenhofen). Viele solcher Initiativen sind auf engagierte Lehrer, Schülereltern oder Rektoren im Landkreis zurückzuführen, die den Stempel „Problemschule“ nicht verdienen.

Gesamtschulen – die Chance für Chancengleichheit?

Von Benjamin Lipp

Bereits seit der Bildungsreform in den 60er Jahren steht das Gesamtschulenkonzept zur Debatte. Damals wollte man dadurch den hoch qualifizierten Nachwuchs sichern, den das wirtschaftlich stetig wachsende Deutschland dringend benötigte. 40 Jahre später – die fetten Jahre sind vorbei – ist die Diskussion dieselbe geblieben. Vergleicht man die Bundesrepublik mit anderen europäischen Ländern, gerät sie in Bildungsfragen immer mehr ins Hintertreffen. Dabei benötigt die Wirtschaft mehr Facharbeiter, die Wissenschaft mehr Nobelpreisträger und den Theatern, geht das Bildungsbürgertum aus.

Die Politik reagiert hektisch. Das eigentliche Problem, beziehungsweise das Bildungspotenzials der nächsten Generationen, wird nicht ausgeschöpft. Wo sind beispielsweise die akademisch gebildeten Ausländer“ In Gymnasien beträgt ihr Anteil nur
4,2 %, in Hauptschulen dagegen
18,9 %. Wo bleibt da die Gleichberechtigung“ fragen sich viele.

Die Gesamtschule schreibt sich genau diese Frage als Statut auf das Banner. Gleiche Bildungschancen, sowohl für den verwöhnten Sohn reicher Eltern als auch für das türkische Mädchen, das in Ausländervierteln lebt. Trotzdem stellt PISA dem alternativen Konzept kein gutes Zeugnis aus: Das Verhältnis von sozialer Herkunft und erworbenen Kompetenzen sei an Gesamtschulen weitaus enger, als dies an anderen Schulformen der Fall ist. Dies hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist die Heterogenität der Schüler an Gesamtschulen wesentlich höher als an herkömmlichen Schulen, was die Angelegenheit erschwert. Auf der anderen Seite ist die Schule für den Beginn von Integration der falsche Ort. Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft müssen bereits vorschulisch miteinander konfrontiert werden. Es fehlt also die nötige Prävention. Eine solche würde die Bildung dem sozialen Hintergrund entheben und so mehr Gleichberechtigung schaffen.

Aber nicht nur an Integration muss Schule ausgerichtet sein, sondern auch an den Schülern selbst. Im derzeitigen dreigegliederten Bildungssystem ist dies nur bedingt der Fall. Bereits nach der vierten Klasse wird selektiert und gewissermaßen vorentschieden, welchen zukünftigen Weg der Schüler gehen wird. Eine solch tief greifende Entscheidung erfordert die genaue Kenntnis über den Schüler, über sein Potenzial und nicht zuletzt über sein persönliches Interesse. Solche Dinge können so früh nur erahnt werden, die Entscheidung kann also weder von den Eltern noch von der Schule aus getroffen werden. Den Schüler zu einer gewissen Reife zu führen, ihn zu lenken und ihn an seine Grenzen zu führen, ist die Aufgabe einer Gesamtschule. Eine unwiderrufliche Determination des Schülers würde diesen Reifeprozess übergehen und somit Bildungspotenzial und spätere Entwicklungen ignorieren.

Weiter noch stellt sich eine andere Problematik gegen das dreigliedrige System, genauer gesagt gegen die Hauptschule und indirekt gegen die Realschule. Indem nämlich die beiden Schulabschlüsse nicht einem jeweiligen Bereich zugeordnet sind – beispielsweise dem geistigen und praktischen -, sondern sich qualitativ unterscheiden, entsteht eine Ungleichheit, die sich vor allem auf die unterlegene Hauptschule auswirkt. Immer mehr Realschulabgänger drängen auf Ausbildungsstellen und werden gegenüber dem minderwertigen Hauptschulabschluss bevorzugt. Die Folge ist auf der einen Seite eine soziale: Wenn die Berufschancen für einen ganzen Bildungszweig dramatisch sinken, dann ist hier auch eine akute Gefahr von Arbeitslosigkeit gegeben. Das soziale Milieu, das an Hauptschulen vorherrschend ist, kann dadurch also nicht aufgebrochen werden. Perspektiven werden dadurch im Kern erstickt. Zum anderen folgt eine psychologische Problematik: Die Angst, nach dem Abschluss ohne Aussichten auf einen Job dastehen zu können, lässt einen enormen Druck auf die Schüler entstehen. Schlafstörungen, Kopf- und Magenschmerzen werden als häufigste Ursachen angegeben, so eine Studie des Deutschen Jugendinstituts.

Es muss also eine politische Initiative geben hin zu einem Schulsystem, das es sich zur Aufgabe macht zum einen das Potenzial jedes Schülers
bejahen und darauf aufbauend den diesen zu fördern hinsichtlich seiner individuellen Stärken und Schwächen. Ein solches Programm bringt sowohl enorme Anforderungen an die Schule, als auch Kosten mit sich, die nicht jeder Politiker verantworten will. Wenn man aber die großen Probleme, wie Arbeitslosigkeit, kulturelle Verflachung oder die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, betrachtet, so fällt man letztendlich auf die Schulbildung zurück: Jugendliches Interesse ist die Vorstufe für späteres Engagement und Ambition. Warum sollte also jenes so essenzielle Ressort nicht seiner Bedeutsamkeit nach berücksichtigt werden“

Infos Gesamtschule

Die Gesamtschule in Deutschland ist ein alternatives Schulmodell zum traditionellen dreigliedrigen System von Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Dabei handelt es sich oft auch um Ganztagsschulen. Im Allgemeinen ist die Gesamtschule eine weiterführende Schule die nach der Grundschule besucht werden kann. Es gibt zwei verschiedene Modelle: Zum einen die integrativen Gesamtschulen (IGS), wo die Schüler in den einzelnen Fächern hinsichtlich ihrer Leistung in verschiedene Kurse eingeteilt werden. In den kooperativen Gesamtschulen (KGS) dagegen gibt es nebeneinander Klassen des Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweiges. Somit können die Schüler – ohne die Schule wechseln zu müssen – alle Schulabschlüsse erreichen. Das Konzept der Gesamtschulen im Allgemeinen ist, dass durch kollektives Lernen von sowohl leistungsschwachen und -starken zum einen die Schwachen fördern und zum anderen ein besseres gesellschaftliches Klima schaffen. Von Wissenschaftlern wird vor allem das Konzept der IGS favorisiert und als zukunftsweisend bezeichnet. International betrachtet findet das Modell der Gesamtschule in vielen Ländern seine Anwendung, wie vor allem in den USA und in Großbritannien.