Der Ruf der Bühne: „Holt mich rauf – ich bin ein Star!“

von Lorenz Trapp 

Alles im Lot. Intakt. Im grünen Bereich. Während führende Ökonomen beim Weltwirtschaftsforum im idyllischen Schweizer Skiort Davos es für geboten halten, sich auf eine „Zeit der Bescheidenheit“ einzustellen, und sich von zwar sporadisch, aber regelmäßig und lächelnd unters Volk gestreuten tollen Konjunkturberichten nicht beeindrucken lassen, während anderswo die Scheitel der Hochwasser an den Pegeln überschwemmter Städte und Dörfer neue Rekordmarken setzen, lassen wir uns kaum aus dem Gleichgewicht bringen, wenn die Casting-Welle ins mittlere Ilmtal schwappt. 

musik

Dank der Statistik sind wir ja seit Langem in der Lage, zwischen Katastrophen einem durchaus positiven Wert zu huldigen. Dass die Zahl der Millionäre auch in Krisenzeiten, die dem Normalbürger den letzten Cent aus dem Portemonnaie beuteln, gemächlich steigt, beunruhigt uns nicht. Wir würden es – bei ansprechender Präsentation – auch für in Ordnung halten, dass die Wasserversorgung tadellos funktioniert, wenn die eine Hälfte der Menschheit am Ertrinken ist und die andere Hälfte verdurstet. Die Statistik, die sich als Quotenmesser überall einmischt, teilt uns auch freundlich mit, dass etwa zehn Prozent der Deutschen regelmäßig und wahrscheinlich mit Begeisterung (warum sonst?) eine Sendung sehen, die mit dem Titel „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ die Frage nicht beantworten will, warum sich diese Leute überhaupt in einem Dschungelcamp aufhalten.

Ebenso beliebt ist die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“, die als Quelle jener Welle gelten darf, deren Ausläufer nun auch unser beschauliches Tal erreichen. Einen Fast-Star aus dieser Sendung beheimatet bereits ein Städtchen am Unterlauf der Ilm, und wir sind gespannt, ob Ramona F. einen neuen Anlauf wagt, wenn’s denn in der Kreisstadt ernst wird und die große Casting-Aktion am nächsten Wochenende startet. Als Veranstalter zeichnen das Musikinstitut „in|:takt“ und eine örtliche Tageszeitung, der wohl nicht genügt, dass – von langjährigen Erhebungen des bairischen Philosophen Karl Valentin statistisch untermauert – sowieso immer so viel passiert, wie in eine Zeitung passt.

„Talentradar“ heißt die Aktion, die die besten Sänger – und natürlich Sängerinnen; schau’n wir mal! – aus dem gesamten Landkreis sucht. Bereits gefunden: Claudia Jung. Ihr allerdings ist die Bühne in der Raiffeisenstraße verwehrt; Profis aus dem Musikgeschäft fallen, selbst wenn sie mit roten Rosen romantisch locken, durchs Aufnahmekriterienraster. Mindestens 15 Jahre alt müssen die Kandidaten sein, wenn sie sich im Casting mit einem einminütigen Vortrag eines beliebigen Liedes den kritischen Ohren der Jury stellen – denn nicht bewertet werde, so betont „in|:takt“-Chef Michael Herrmann, die Optik. Zwei Kriterien also, die Markus Käser bei Leibe nicht fürchten muss. Der Wirtschaftsreferent demonstriert in einem kurzen Video-Trailer mit einem von Michael Herrmann eigens komponierten Motivations-Song vollkommen glaubhaft, es sei doch gar nicht so schwer, „wenn i‘ sogar des dablär“.

Die Anmeldungen laufen zufriedenstellend. Um sich von der Masse der Shows abzuheben, empfehlen wir, beim stolzen Zählen der Kandidaten auf das Duodezimalsystem umzusteigen. Im Dutzend wird’s nämlich, entgegen landläufiger Meinung, auch nicht billiger, und wie plausibel sich der „Talentradar“ in unser beschauliches Tal kuschelt, wird der Applaus zeigen, der so gerne quotenmäßig und – wir verlassen uns drauf! – verlässlich gemessen wird. Alles ist also im Lot. Im Takt der frenetisch klatschenden Hände.