Kunst ist die höchste Form des Spiels Wenn Bilder die Straße queren, verdienen sie Vorfahrtsrecht – Franz-Xaver Hitzler regelt seit dreißig Jahren regen Kunstverkehr

von Lorenz Trapp 

Auenstraße, Kunsthaus. Beratung. Verkauf. Bilderrahmung. Konservierung. Kaschierung. Restauration. Schätzung. Auf einer zweiten Plexiglasscheibe, ebenso präzise zwischen zwei Schaufenster platziert, springen Namen ins Auge: Grieshaber. Hipp. Janssen. Klee. Thakahashi. Bill. Hundertwasser. Genau, Kunsthaus.
Die Tür steht offen. Kunstwerke, Gemälde sind zu sehen, Farbe, eine Skulptur macht Liegestütz. An der Wand hängen Muster für Bilderrahmen, aus verschiedensten Materialien, und auf der Fensterscheibe fügen sich eindimensionale Bauklötzchen, rot, gelb, grün und blau, zu einem Triumphbogen zusammen. Kunsthaus
F. X. Hitzler. 
Ruhig liegt die Auenstraße im Sonnenlicht. Von gegenüber betritt ein Mann die Straße und bewegt sich auf den Triumphbogen zu. Seinen braunen Lederschaber verdeckt ein Gemälde, das er in der rechten Hand trägt. Es zeigt den Pfaffenhofener Stadtplatz. Die Autos, die darauf zu sehen sind, stimmen nostalgisch, sie tragen noch behäbige Namen wie Kapitän und Diplomat.

„Ein echter Luckhaus“, sagt Franz-Xaver Hitzler begeistert, als er die drei Stufen zu seinem Laden erreicht hat. Eduard Luckhaus, 1975 verstorben, ist einer der bekanntesten Maler und Graphiker der Stadt, der auch das Landkreiswappen entworfen hat, erklärt Franz-Xaver Hitzler, und demnächst wird seiner in einer umfassenden Retrospektive gedacht werden.

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Ob er die Tür immer so weit offen stehen lasse, wenn er nicht im Laden sei? Drei Tage lang habe er seine offene Tür mal im Stich gelassen, unterwegs in Sachen Kunst, doch seine Nachbarn und Bekannten haben, als sie sein Versehen bemerkten, den Laden im wahrsten Sinne des Wortes gehütet: „Gute Nachbarschaft“, erfährt Franz-Xaver Hitzler täglich, „ist ein kleines Stück von meinem großen Glück!“

Geboren und aufgewachsen ist Franz-Xaver Hitzler in der Donau- und Universitätsstadt Dillingen, in einem kulturellen Umfeld, das stark christlich geprägt war. Es gab ein Priesterseminar, eine berühmte theologische Fakultät, und einige seiner Lehrer am Knabenseminar wurden später als Bischof und Weihbischof bekannt. Dennoch kam Franz-Xaver Hitzler zur Kunst.

„Ich war von Kindesbeinen an Ministrant“, erzählt er, in dieser Funktion kam er auch oft in die kirchlichen und klösterlichen Gebäude. Und da habe er Kunstwerke gesehen, die man sonst, als kleiner Junge, nicht zu sehen bekomme. Schon das Tragen des Messbuches, die Haptik dieses edlen und wertvollen Buches habe ihn begeistert und seine Liebe zu bibliophilen Schätzen entzündet. Dann kam die Sammlung für „pro mundi vita“, bei der er als jugendlicher Ministrant mitmachen durfte und wo er mit ledergebundenen Büchern, mit Goldprägung, in Berührung kam. „In der Nachkriegszeit haben die Leute ihre Speicher ausgemistet, da sind Dinge weggeworfen worden, von denen Antiquitätenhändler heute träumen!“

Erkenntnis: der Staat und ich
passen nicht zusammen

Franz-Xaver Hitzler träumte nicht. Mit einem Leiterwagen transportierte er Dinge nach Hause, die sie beim Ausräumen aus den Speichern der Bürgerhäuser mitnehmen durften. Neben Büchern fand er natürlich auch Bilder, alte Waffen und natürlich auch alte Möbel. Eine Passion war geweckt. „Ich komme ja aus einer Bauernhütte“, beschreibt er sein Elternhaus, „wo Platz für vier Kühe war, aber nur zwei da waren“, doch sein Vater hatte auch eine kleine Schreinerwerkstatt, und in dieser begann er schon früh, Möbel, hauptsächlich Stühle und Schränke, zu restaurieren. Allerdings vergaß er darüber seine schulische Ausbildung nicht und zog anschließend nach München.

Neben einigen Semestern an der Werkkunstschule absolvierte er seinen Fachlehrer für Sport und Technisches Zeichnen, machte den Versicherungsbetriebswirt, jobbte als Projektleiter beim Max-Planck-Institut und kehrte dann zurück an seine frühere Schule – als Lehrer für Sport und Wirtschaft. „Im Lehrerzimmer haben sie zuerst gedacht, ich komme zu Besuch – sie konnten sich nur an meine miserablen Noten erinnern!“ Dann kam die Versetzung nach Pfaffenhofen.

Nach vier Jahren an der Hauptschule habe er allerdings bemerkt, „dass der Staat und ich nicht zusammenpassen“, und so setzte Franz-Xaver Hitzler am 27. September 1982 ein Zeichen: Zum ersten Mal schloss er die Türe zu seinem Geschäft in der Auenstraße auf. Mit Antiquitäten habe er angefangen, blickt er zurück, immer von Privatleuten gekauft, Möbel, Schmuck, alte Teppiche, Varia – „kloine G’schichtla“ nennt er sie und fällt liebevoll in sein schwäbisches Idiom, das sonst nur noch als feiner Schleier durch seine Geschichten weht – „und natürlich Bilder“.

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Franz-Xaver Hitzler, der Mann im Auge der Kunst: Artconsulting und Bilder sind sein Metier

Völlig „blind und ahnungslos“ sei er da hineingelaufen: „Ich hab gedacht, mit 10 000 kann man viel machen, aber die ersten waren schnell weg, und die zweiten auch!“ Doch einer wie er gibt nicht so schnell auf. Er ergänzte sein Angebot um zeitgemäße, moderne Malerei und bereute diesen Schritt in den „hochwertigen, dekorativen Bereich“ nicht. Auch Hundertwasser und Fuchs, zwei Österreicher, von der legendären Wiener Secession beeinflusst, gehörten dazu. Später hat er sie wieder aus seinem Sortiment genommen, als sie sich zeitweise im Dunstkreis des auch in Kunstkreisen äußerst kontrovers diskutierten Otto Mühl und anderer Wiener Aktionisten bewegten. „Ich habe da auf viel Geld verzichtet, doch wenn man teilweise nur Provokation als Kunst verkauft, da werde ich konservativ!“

Gesunde Neugierde ist die
Grundlage allen Wissens
Beziehungen zu diesen Künstlern hätte er sicher gehabt, und er erinnert sich an seine Schwabinger Zeit: „Hundertwasser und Fuchs hatten eine Wohnung am Hohenzollernplatz, München war damals überhaupt eine Kunsthochburg!“ Nur nebenbei erwähnt Franz-Xaver Hitzler, dass er mit Niki St. Phalle und Jean Tinguely „im Atzinger rumgesessen“ ist – wenn es seine Zeit erlaubt hat! Denn neben dem Studium hatte das Multitalent noch einige Jobs am Laufen: „Schließlich musste ich von irgendetwas leben, und meine Studienkollegen haben wohl gedacht, ich hätte ein anstrengendes G’spusi, wenn ich in der Vorlesung eingeschlafen bin“.

Jetzt ist er ruhiger geworden, und ein Espresso mit dem Journalisten auf dem sonnigen Hauptplatz ist auf jeden Fall drin. Man kennt Franz-Xaver Hitzler in der Stadt, denn das launige Gespräch wird oft unterbrochen, weil der Händler des kreativen Schaffens immer wieder von Freunden und Bekannten angesprochen wird. Er kultiviert noch, was einen wie mich natürlich beeindruckt, die Kunst des Kaffeehaus-Sitzens und bedauert, dass den Menschen die Muße zur Neugierde, zum entdeckenden Schauen, immer mehr abhanden zu kommen scheint, denn „Neugierde ist die Grundlage allen Wissens“. Der Philosoph im Kunsthändler lässt seinen Blick sinnend über das bunte Vormittagstreiben schweifen und fasst unser Gespräch in seinem Credo zusammen: „Kunst ist die höchste Form des Spiels“, und als wäre er gerade dabei, die Karten neu zu mischen, fügt er – piano – hinzu: „Ich hab ein ganz verrücktes Leben gehabt, das darf ich eigentlich gar nicht erzählen!“

Er tut es dennoch. Irgendwann hat er die Antiquitäten aus seinem Geschäft genommen, denn die Konkurrenz der Flohmärkte sei zu übermächtig geworden, und sich wieder ganz auf die Kunst besonnen. Bei seinen regelmäßigen Besuchen auf Kunstmessen knüpfte er stets Kontakte in ganz Europa und so ist er – „jeder, den ich kennengelernt hab, hat mir einen anderen vorgestellt“ – ins „Kunstleben“ hineingewachsen.

Er möchte es nicht mehr missen. Auch wenn die finanzielle Seite manchmal düsterer ausgesehen hat als manches Kunstwerk, das durch sein Geschäft gewandert ist. Viel Geld aus seinem Privatvermögen habe er hineingesteckt, doch „wenn du so einen Laden haben und vor allem die Qualität halten willst, dann musst du auf vieles verzichten!“ Er stellt es ohne Bedauern fest, und neben dem Kunsthandel hat er dann die Rahmungsaufträge ausbauen können. Seine schwierige Herzoperation vor drei Jahren mahnte den 61-Jährigen an ein gemäßigteres Tempo, und für die Antwort auf die Frage, wie lange er das Geschäft noch betreiben werde, setzt er ein verschmitztes, völlig kunstfreies Lächeln auf: „Wahrscheinlich bis 91!“

Mittlerweile hat er seine Werkstatt in den Laden gelegt, denn der Vorgang des Rahmens, erklärt er, sei der Anfang eines Prozesses: „Und da brauchst du Platz, Licht und Luft!“ Er blickt sich um, betrachtet kurz die Gemälde und Skulpturen im Laden und bleibt am Arbeitsplatz hängen. „Dann“, fährt er fort, und ich sehe förmlich ein neues Werk vor seinen Augen entstehen, „wird das ein Bild, mit dem der Kunde ein Leben lang zufrieden ist“. Oder, wie wir Banausen zu sagen pflegen: „Dann passt das, Franz-Xaver Hitzler!“