Die Pfaffenhofener Tafel: Engagement gegen Armut – Bedürftige im Landkreis haben tatkräftige Hilfe nötiger denn je

von Claudia Erdenreich

86 ehrenamtliche Mitarbeiter sammeln und verteilen wöchentlich drei Tonnen Lebensmittel und erreichen damit allein in Pfaffenhofen rund 250 Erwachsene und 140 Kinder – auf diese beeindruckenden Zahlen kann die Pfaffenhofener Tafel kurz vor ihrem fünften Geburtstag zurecht stolz sein. Längst ist bekannt, dass die Hartz-IV-Sätze nicht ausreichen, um alle Grundbedürfnisse abzudecken. Gestiegene Energiepreise und Nebenkostennachzahlungen machen es gerade Familien mit Kindern schwer, ausreichend Lebensmittel einzukaufen. So entstand anfangs in den USA und seit rund 15 Jahren bundesweit in vielen Regionen die Idee, Lebensmittel, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr verkauft werden können, an bedürftige Mitbürger zu verteilen.
„Jeder gibt, was er kann“, lautet das klare Motto unter dem die Pfaffenhofener Tafel örtliche Bäckereien und Metzgereien, Supermärkte und viele weitere Unternehmen um Spenden bittet.

Jeden Mittwoch Lebensmittelausgabe an 160 Kunden
An diesem Dienstagvormittag herrscht rege Betriebsamkeit in dem Haus am Draht 19. Die eingesammelten Lebensmittel werden jede Woche komplett ausgegeben, das erfordert eine Menge Vorbereitung und eine enorme Logistik. Herzlicher Umgang und eine fröhliche Stimmung sind greifbar unter den ausschließlich ehrenamtlichen Mitarbeitern, von denen viele schon von Anfang an dabei sind. Es ist keine leichte Arbeit, viel schleppen, die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden und die strengen Hygienevorschriften der Lebensmittelüberwachung gelten auch hier. 280 ehrenamtliche Stunden kommen jede Woche zusammen. Eine Einsatzplanung wie in einem mittelständischen Unternehmen steckt dahinter. Als „besten Chef der Welt“ lobt dabei die Helfercrew ihre Vorsitzende Sieglinde Wiegand. Sie ist für die gute Stimmung und den tollen Zusammenhalt im Team verantwortlich, sind sich alle Helfer sicher. Grundsätzlich macht jeder im Team alles. Dennoch wird natürlich jeder so gut es geht nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten eingeteilt.

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Einen symbolischen Euro zahlen die Kunden pro Woche für die Lebensmittel. Kunden und nicht Bedürftige – so nennen die Mitarbeiter die Menschen, die jeden Mittwochvormittag bei der Tafel eine Wochenration an Lebensmittel abholen, ganz bewusst. Auch das soll den Menschen, deren Scham oft groß ist, ein Stück Selbstwert und Würde vermitteln. Eine ganze Familie gilt als Einzelkunde. Familien mit mehreren Kindern, besonders aber alleinerziehende Mütter sind häufig Tafelkunden. Wer bei der Tafel Lebensmittel abholen möchte, muss regelmäßig die Bedürftigkeit nachweisen, durch den Hartz-IV-Bescheid, die geringe Rente, immer öfter aber auch durch ein geringes Einkommen, das nicht ausreicht, um eine Familie zu ernähren.

Individuelles Angebot
für junge Mütter
Schon während ihrer Zeit als Stadträtin erfuhr die Initiatorin und heutige Vorsitzende Sieglinde Wiegand mehr durch Zufall vom Neuburger Tafelprojekt. Die Idee ließ sie nicht mehr los. Als sie in der evangelischen Kirchengemeinde einen Träger fand, war Wiegand endgültig entschlossen, das Projekt Tafel auch in Pfaffenhofen umzusetzen. Die nötigen Informationen kamen vom Dachverband Tafel, besonders aber von schon bestehenden Tafeln in benachbarten Landkreisen, mit denen bis heute eine tatkräftige Kooperation besteht. Ganz selbstverständlich werden Überschüsse ausgetauscht. Für die Gemeinnützigkeit wurde ein Verein gegründet, der bewusst klein gehalten wird. Man will unmittelbar vor Ort helfen. Statt von Vereinsbeiträgen finanziert sich die Tafel ausschließlich durch Spenden und Sponsoren – und natürlich vom wöchentlichen Euro der Kunden.

Besonderes Glück hatte Sieglinde Wiegand bei der Suche nach Räumlichkeiten: Bis heute stellt E.ON Bayern ein zentral gelegenes Einfamilienhaus miet- und nebenkostenfrei zur Verfügung. Das Haus bietet ausreichend Stauraum, um die Lebensmittel bis zur Ausgabe lagern zu können. Inzwischen befindet sich ein zusätzlicher Kühlcontainer im Garten. Dort können vor allem Lebensmittel für die Außenstellen im Landkreis zwischengelagert werden. Auch die Verwaltung hat im Haus Platz gefunden.

Nach nur vier Monaten intensiver Planung und Information startete 2003 die Tafel in Pfaffenhofen mit anfangs 28 Kunden. Als Schirmherr und Sponsor konnte der Unternehmer Dr. Claus Hipp gewonnen werden. So können besonders Familien mit Säuglingen und Kleinkindern sehr gut versorgt werden.

Heute unterhält die Tafel Zweigstellen in Wolnzach, Rohrbach und Reichertshausen und deckt damit den mittleren Landkreis ab. Es ist sinnvoller, die Lebensmittel in die einzelnen Orte zu fahren und dort eigene Ausgabestellen einzurichten, als in jedem Ort eine eigene Tafel zu etablieren. In den einzelnen Orten des Landkreises würde man zwar auch die Lebensmittelmengen sammeln können, aber nicht immer in dieser Vielfalt. Zudem würden viele Firmen dann gleich von mehreren Tafeln angesprochen. Zudem legen die Vorgaben des Dachverbandes der deutschen Tafeln bestimmte Regionen und Abstände zwischen den einzelnen Tafeln fest. Anfangs sammelten die Helfer die Lebensmittel noch mit dem eigenen Auto ein, was sich bei steigender Kundenzahl schnell als undurchführbar herausstellte. Jetzt steht ein Kühlsprinter zur Verfügung, der täglich im Einsatz ist. Rund 60 Lieferanten werden wöchentlich angefahren, darunter fast alle Supermärkte. Das garantiert ein zwar nicht immer gleiches, aber sehr reichhaltiges Sortiment. Grundnahrungsmittel wie Milch und Brot werden jede Woche ausgegeben. Fehlt etwas, wird es notfalls aus den Spendengeldern dazugekauft. Einige Lieferanten kommen der Tafel dabei sehr entgegen: Ein Bäcker liefert seit Gründung der Tafel verlässlich immer die gleiche Menge. Mehl kann von einer Mühle auf Abruf angefordert werden. Vom Wochenmarkt kommen Obst, Gemüse und Kartoffeln. Auch Bauern aus der Region geben Überschüsse ab. Rezepte werden im Einzelfall gleich mit ausgegeben. Ein prall gefüllter Ordner enthält reichlich Ideen, egal ob es sich um Rezepte für Kürbisse oder Knödelbrot handelt.

Helfercrew übergibt jedem Kunden eine Wochenration
Die Pfaffenhofener Tafelkunden erhalten alle Lebensmittel, die sie für eine Woche brauchen. Sie sollen wenig bis nichts dazukaufen müssen. Auch Dinge des täglichen Bedarfs, wie Waschpulver oder Shampoo, finden sich in den Regalen. Auswählen können die Kunden aus dem Sortiment nicht, jedoch werden die Lebensmittel nach der Familiensituation oder der persönlichen Lage ausgegeben. Die Helfercrew kennt ihre Kunden: hungrige Teenager in der Familie brauchen anderes als Säuglinge. Obdachlose haben normalerweise keine Kochgelegenheit und bekommen eine andere Ration eingepackt.
Wo nicht einmal ausreichend Geld für Lebensmittel vorhanden ist, treten oft auch andere Probleme auf. Wenn Sieglinde Wiegand von drohenden Stromsperren, ausgebliebenen Löhnen oder Wohnungskündigungen erfährt, bietet sie den Kunden ein Gespräch an. Ein gemütliches kleines Wohnzimmer steht im Obergeschoss des Hauses für die Gespräche zur Verfügung. Mit Geld helfen kann und will die Tafel nicht, aber sie kennt mögliche Anlaufstellen und Ansprechpartner, stellt direkt den Kontakt her, arbeitet eng mit „Familien in Not“ zusammen.

Jeden Mittwochmorgen, ab sieben Uhr, stehen die Kunden im Hof der Tafel. Ein Wintergarten bietet beim Anstehen Schutz vor Regen und Kälte. Der kleine Laden wirkt gemütlich und einladend. Ganz bewusst erhielt der Laden seinen Eingang von hinten. Die Menschen sollen nicht auf der Straße anstehen müssen, die meisten möchten hier in der Kleinstadt nicht von Nachbarn oder Verwandten erkannt werden. Diskretion ist für die Helfer daher oberstes Gebot.

25 Kunden pro halbe Stunde können am Ausgabetag Lebensmittel abholen. Die Helferinnen wissen, wie viele Menschen jede Woche kommen. Sie sorgen dafür, dass die Ware bis zum Schluss reicht. „Es gibt sicher noch mehr Bedürftige und wir könnten sie auch versorgen“, betont Sieglinde Wiegand, deren Engagement zusammen mit ihrer Stellvertreterin inzwischen in manchen Wochen ein Vollzeitjob geworden ist.