Das gab es bisher noch nicht! Beim 8. Vorlesewettbewerb für die 4. Jahrgangsstufe „Lesen ist Zukunft – Wer kann es am besten?“, der beim „Rotary Club“ Pfaffenhofen im Festsaal des Rathauses anfang Dezember über die Bühne ging, setzten alle fünf Jurymitglieder den neunjährigen Laurin Weiherer auf den ersten Platz. Er hatte zudem auch in allen Bewertungskriterien (Aussprache, Lesetempo, Lautstärke/Modulation, Betonung/Interpretation) jeweils die höchste Punktzahl erhalten.
Der Schüler der Montessori-Schule in Pfaffenhofen bot beim Vortrag eines ihm fremden Texts eine derart souveräne Leistung, dass er mit großem Abstand Sieger wurde. Dabei war das Niveau, das die zehn von den Grundschulen des Landkreises ausgewählten Kandidaten/innen an den Tag legten, durchwegs ein außerordentlich hohes. An sie verteilte der amtierende Präsident des RC Pfaffenhofen, André Schneeweiß, bei seiner Begrüßungsansprache zu Recht Vorschusslorbeeren, als er ihnen als auserwählte Vertreter ihrer Schule seine Anerkennung aussprach und sie deshalb alle im Voraus bereits zu Siegern erklärte. Nicht zuletzt sind sie ein Indiz dafür, dass junge Menschen dieses Alters immer noch gerne auch das herkömmliche Buch als Quelle ihrer sprachlichen Erziehung und ihrer literarischen Fortbildung in die Hand nehmen. Nicht nur iPhones, Smartphones, Tablets und Computer dienen ihnen außerhalb des schulischen Unterrichts als Vermittler von Informationen, Wissen und Unterhaltung. Sie zählen keinesfalls zu jenen, die ausschließlich dem verlockenden Angebot solcher Gerätschaften verfallen sind, sondern verstehen es, beide Möglichkeiten in ausgewogener Form zu entdecken und zu nützen.
Die jungen Protagonisten und ihre Jury
Domäne der Mädchen
Und ein Zweites entsprach nicht den herkömmlichen Erfahrungen: Dass Lesen in dieser Altersstufe eine Domäne der Mädchen ist, gehörte wie in der Vergangenheit auch dieses Mal auf Grund der Anzahl der Teilnehmer zum gewohnten Bild, dass aber die beiden Vertreter männlichen Geschlechts, die es wagten, gegen acht junge Damen anzutreten, die beiden ersten Plätze eroberten, fiel in gleichem Maße völlig aus dem Rahmen. Michael Jochner von der Grundschule Ilmmünster, die seit Beginn des Wettbewerbs stets sehr erfolgreiche Teilnehmer/innen entsandte, eroberte den zweiten Platz, Dritte wurde Laura Kottisek von der Gerhardinger-Grundschule in Pfaffenhofen. Die weitere Rangfolge blieb aus verständlichen Gründen ein Geheimnis der Jury. Sie wurde bei der Siegerehrung nicht mitgeteilt, um nicht die Leistung derer mit etwas weniger Punkten herabzusetzen und sie in einem falschen Licht erscheinen zu lassen. Es geht ja letztendlich darum, die Freude am Lesen bei ihnen zu erhalten. Dementsprechend wurden auch alle Teilnehmer mit einem Geldpreis für den Kauf eines Buches und zudem, dem zeitlichen Anlass entsprechend, mit einem Nikolaus aus Schokolade belohnt.
Der Vorlesewettbewerb auf Clubebene ist zugleich die Vorrunde des im ganzen rotarischen Distrikt 1841 seit 2009 durchgeführten Projekts. An ihm nehmen 200 bis 250 Grundschulen teil, in einem Gebiet, das das bayerische Schwaben und große Teile des oberbayerischen Kernlands umfasst und dessen Grenze im Westen von Nördlingen bis nach Immenstadt und im Osten von Neustadt a. d. Donau bis Bad Tölz/Schliersee reicht. Das Interesse und die Freude an einer kulturellen Grundkompetenz gilt es zu wecken, zu erhalten und zu fördern. „Lesen lernen“ galt bereits bei Philipp Melanchthon, dem Philologen, Philosophen, Theologen und Humanisten, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über die Lektüre der Bibel hinaus als Grundvoraussetzung für die Sprech- und Spracherziehung, für die Schulung des Denkens und die Persönlichkeitsbildung, für menschliche Kommunikation und Urteilsfähigkeit, für die Erschließung des kulturellen Erbes der Vergangenheit, für jegliches berufliche und wissenschaftliche Arbeiten usw. usw.
Laurin Weiherer und seine Klassenlehrerin Janett Köhler
Statistische Erhebungen weisen darauf hin, dass die Zahl der Jugendlichen, die bis in die Jahre ihrer Pubertät aus eigenem Antrieb kein Buch gelesen haben, gegenwärtig wieder außerordentlich ansteigt. Als Ursache hierfür gilt u. a., dass Kindern im Vorschulalter kaum mehr vorgelesen wird, weil im Elternhaus dafür keine Zeit bleibt. Der spätere schulische Unterricht kann dieses Defizit nicht gänzlich ausgleichen. Hinzu kommt ein überaus breites Freizeitangebot, das in der Gegenwart durch die mobilen Endgeräte noch vergrößert wurde. Andererseits haben die modernen Medien mit dem Hörbuch einen neuen Weg gefunden, um literarische Texte auditiv zu rezipieren. Computerspiele erscheinen dem Heranwachsenden allerdings reizvoller als diese. Man darf bei solcher Betrachtung zwar weltweite Vergleichsstudien, wie etwa die PISA-Erhebung, nicht als absoluten Maßstab für schulische Leistungen und geistigen Fortschritt heranziehen, sollte aber doch die Tatsache sehr ernst nehmen, dass Deutschland in der Lesekompetenz der 15-jährigen Schüler nicht zur Elite zählt. Und ein ordentlicher Platz im Vorderfeld der etwa 75 teilnehmenden Länder reicht auf die Dauer für ein Land, das fast nur mit der Ressource „Wissen und Bildung“ aufwarten kann, um seinen gegenwärtigen Lebensstandard nachhaltig zu sichern, hierfür wohl nicht aus. Singapur, Kanada, Finnland, Estland und Japan liegen im Rahmen der Lesekompetenz von Fünfzehnjährigen um ein gutes Stück vor uns, in den Bereichen Naturwissenschaften und Mathematik rangiert Deutschland sogar noch einige Plätze weiter hinten.
Incomingpräsident Jürgen Garus und Organisator Hellmuth Inderwies bei der Siegerehrung
Fragt man Laurin Weiherer danach, warum er in seinem Alter fremde Texte so eindrucksvoll vorzutragen weiß, dann meint er, dass ihm in seiner frühesten Kindheit schon viel vorgelesen wurde. An Einzelheiten könne er sich da freilich nicht mehr so genau erinnern. Aber noch bevor er eingeschult wurde, habe er lesen können. „Nicht so gut!“, wie er meint, „Mich hat es geärgert, wenn ältere Kinder Briefe geschrieben haben und ich konnte sie nicht entziffern. Da habe ich einfach die Buchstaben gelernt.“ Außerdem sei auch schon seine ältere Schwester bei Vorlesewettbewerben – sie nahm 2011 an dem der Rotarier teil – recht erfolgreich gewesen und habe vordere Plätze belegt. Und die Frage, was er denn heute für eine Lektüre bevorzuge, ob es vor allem Kinder- und Jugendbücher seien, beantwortet er sehr selbstbewusst: „Nein, nein! Ich lese Romane, Robots, sehr gerne Krimis.“ Dabei ist er keinesfalls ein Kind, das sich nur in die fiktive Welt der Literatur zurückzieht und in dieser lebt und dabei alles Dasein um sich vergisst. Ganz im Gegenteil! Die moderne Medientechnik gehört zu seinem Alltag. Er verfügt über ein Tablet, geht ins Internet und besitzt eine E-Mail-Adresse usw. Wer sich mit ihm unterhält, merkt sehr schnell, wie weltoffen und gewandt er schon in seinem Alter seiner Mitwelt begegnet.
Ein ansehnliches Publikum
im Festsaal des Rathauses
Laurin Weiherer, der in Mainburg zu Hause ist und jeden Tag mit dem Schulbus zum Unterricht in die Kreisstadt zur Montessori-Schule fährt, wird als Kandidat des RC Pfaffenhofen an der Zwischenrunde in Kempten, die am 18.03.2017 im Großen Saal im Haus „Hochland“ stattfindet, teilnehmen. Er wird dabei vom Clubbeauftragten Hellmuth Inderwies und weiteren Clubmitgliedern begleitet und betreut. Selbstverständlich sind auch Eltern, Familienangehörige und Freunde/innen dorthin eingeladen. Auch die Vorrundenentscheidung hatte ein durchaus ansehnliches Publikum in den Festsaal des Rathauses in Pfaffenhofen gelockt, um die Lesung der Mädchen und Buben mit großem Interesse zu verfolgen. Belegt Laurin Weiherer in Kempten einen der vorderen Ränge, erreicht er die Endrunde der Besten. Das Finale findet dann im Rahmen der Distriktkonferenz am 23./24. 06. 2017 im schwäbischen Tagungs- und Bildungszentrum Kloster Irsee statt, wobei die Siegerehrung vor dem Plenum rotarischer Governor, Präsidenten und Delegierter stattfindet. Bisher durfte sich der/die Kandidat/in des RC Pfaffenhofen durchwegs zur Elite zählen. Auch dieses Mal muss er angesichts seiner Vorrundenleistung die Konkurrenz nicht fürchten.
von Hellmuth Inderwies