von Lorenz Trapp
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Wir haben sie wieder da, die „stade Zeit“, und ihre Planung peitscht schon im Vorfeld so viel Sternenstaub über das Pflaster des Hauptplatzes, dass wir vor lauter Licht das Leuchten des Christbaums nicht mehr sehen. Von wegen Lichtlein – heuer geht’s erst richtig los: Advent, Advent, ein Lichtlein brennt!
Erst eins. Angefangen hat alles mit dem Stern von Bethlehem. Heute nennt man Zeichen dieser Art Wegweiser. Ein paar Weise stiefelten durch den mittleren Osten und folgten dem stellaren Leuchten, um einem Neugeborenen die Ehre zu erweisen. Gold, Weihrauch und Myrrhe überbrachten sie ihm als Geschenk, und der kleine Knabe versprach, den Menschen Frieden zu bringen – wenn sie denn ein bisschen mithülfen. „Wir“, pflegt man zwei Jahrtausende später zum Thema zu sagen, „arbeiten dran!“
Dann zwei. Schenken können wir bereits. Während wir als Kinder noch ans Christkind glaubten, sind wir nun so aufgeklärt, dass wir wendige Wichtel durchs Dunkel der Nacht streifen sehen, kleine Päckchen im Rucksack. Früher lagen die Geschenke unterm Weihnachtsbaum, der friedlich Kerzenlicht ins traute Heim spendete. Heute kommen sie vom Wichtelladen direkt an die Haustür. Tagsüber sitzt der Wichtel bei dämmrigem Licht in seiner Hütte am Hauptplatz und kümmert sich um die Logistik.
Dann drei. Drei – wir sind generös und gestatten auch mehr – Lichter hängen an weiteren zahlreichen Hütten, die nun in der Adventszeit dem zur Spielwarenstandl-Straße verkommenen Christkindlmarkt in Nürnberg als Adventsmarkt Paroli bieten. Ein privater Gastronom hat viele Händler mit einem attraktiven Angebot dafür gewinnen können. Da alles auf dieser Welt der Normalverteilung gehorcht, gehen wir davon aus, dass sich auch die Zahl der Stände erhöht, die Glühwein ausschenken (sic!), ein Getränk, das in beschaulichem Kreis und in Maßen getrunken uneigennützig noch jenes Gefühl schenkt (sic!), dessentwegen wir die „stade Zeit“ so lieb gewonnen haben, und das uns vier Wochen lang selig den täglich wechselnden Live-Darbietungen hauptsächlich musikalischer Provenienz lauschen lassen wird.
Dann vier. Dass ein großer Haufen besser sei als viele kleine, hat uns die Logik in „Alice’s Restaurant“ erfolgreich erklärt, und so akzeptieren wir gespannt ein einzigartiges Licht für viele: In einem überdimensionalen Adventskalender wird jeden Tag, bis der Heilige Abend einen Riegel vorschiebt, das Türchen eines Gebäudes in der Innenstadt mit Licht geöffnet und gefüllt. Da schmilzt sie hin, die Schokolade der frommen Denkart, die bis dahin Kinderaugen hinter die Türchen leuchten ließ …
So hell strahlt des Künstlers Illumination, dass in deren gleißendem Licht die Weihnachtsbeleuchtung nicht mehr zu erkennen ist. Ein Stück der traditionellen Girlanden wurde bereits auf der Schlachtbank der Tradition geopfert und wir grämen uns über so viel Licht und so wenig Erleuchtung.
Aber so ist das Leben. Wenn das Dorf einen Hahn hat und eine Henne, und wenn das Dorf einen Weihnachtsbraten will, muss eine Entscheidung fallen: Welches Federvieh wird geschlachtet? – Schlachtet die Henne! – Gezeter: Aber der Hahn wird sich grämen! – Dann schlachtet den Hahn! – Gezeter: Aber die Henne wird sich grämen! – Soll sie sich grämen!
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. Dann bleibt das Christkind vor der Tür. Draußen vor der Tür.