Restauration und Neugestaltung – Pfaffenhofens Begegnung mit seiner kulturellen Vergangenheit

von Helmuth Inderwies

Um Eines vorwegzunehmen: Mit allzu Weltbewegendem wird man nicht konfrontiert, wenn man sich mit der kulturgeschichtlichen Vergangenheit Pfaffenhofens beschäftigt, vorweg wenn dies in einer recht geschichtsfremden Gegenwart geschieht, deren verengter Kulturbegriff nur noch in der bloßen Veränderung und Neuerung und im Spektakel eine Hebung der Lebensqualität sieht und Überkommenem mit sichtlicher Verachtung begegnet. Zudem gehören die Stadt und mit wenigen Ausnahmen auch ihr unmittelbares Umland nicht gerade zu den mit Kulturdenkmälern übermäßig gesegneten Regionen, die man als Fundament einer progressivem Kulturarbeit nützen und lebendig erhalten könnte wie es in Nachbarstädten ähnlicher Größenordnung der Fall ist. „Sind wir doch froh, dass wir uns um keine historischen Gebäude kümmern müssen! Sie verursachen nur Kosten,“ war in den letzten Jahren im Stadtrat nicht selten zu vernehmen. Bäuerliche Arbeit und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte standen von jeher hierzulande im Mittelpunkt. Dass sie einst Ursprung kultureller Entwicklung waren und nicht nur dem Gelderwerb dienten, hat man offenbar lange vergessen.

So kann es auch nicht verwundern, wenn die wenigen historischen Denkmäler, die in Pfaffenhofen erhalten blieben, nicht jene öffentliche Wertschätzung genießen, die sie ihrer lokalen Bedeutung nach verdienen. Für manchen so genannten kommunalen „Realpolitiker“ gilt es auch heute noch als eine wirtschaftliche Notwendigkeit, den Pfänderturm nicht zu sanieren, sondern ihn abzureißen oder, wenn sich die Gelegenheit böte, ihn zu versteigern wie es mit anderen Türmen der Stadtmauer einst geschehen ist. Der Verkauf des „Lohrer-Hauses“ am Platzl an einen Bauträger war der Stadt wichtiger als darin ihrem bislang bedeutendsten Dichter Joseph Maria Lutz ein ihm adäquates Museum einzurichten. Der Kampf um einen öffentlichkeitswirksamen Platz zur Aufstellung der historischen Kirchturmuhr der Stadtpfarrkirche im „Haus der Begegnung“ währte einige Jahre. Selbst die Restaurierung und Modernisierung des neugotischen Rathauses wurden von nicht wenigen aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen in Frage gestellt. Man solle lieber ein gänzlich neues Verwaltungsgebäude errichten als den Versuch starten, einen „alten Kasten“ funktionsfähig zu machen. Das sei ja doch nur Flickwerk und Notlösung. Noch sind solche Stimmen trotz der außerordentlich gut gelungenen Neugestaltung nicht ganz verstummt. Geld hat nun einmal bei nicht Wenigen ein noch weit höheres Gewicht als Verpflichtung und Verantwortung gegenüber ihrer „Welt von Gestern“.

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Strengen Blicks wacht Maximilian II. über demokratische Sitzungen.

Vier bayerische Könige im Glanz des neuen Festsaals
Da hängen an den Wänden des in altem und zugleich neuem Glanz erstrahlenden Festsaals des Rathauses die Bilder der vier bedeutendsten bayerischen Könige, von denen sich freilich Ludwig II. solcher übermäßigen landläufigen Verehrung erfreut, dass darüber die große kulturelle Leistung Ludwigs I. fast ein wenig verblasst und die der beiden mit Namen Max (I. und II.) bei vielen bereits in Vergessenheit geraten ist. Dabei war es gerade der zweite, der als konstitutioneller Monarch (1848 bis 1863) nicht nur eine außerordentlich fortschrittliche Sozialpolitik im Sinne Ferdinand Lassalles betrieb (Schutz der Armen wurde eine staatliche Aufgabe, Fabrikneugründungen wurden von sozialen Einrichtungen abhängig gemacht) und als begeisterter Anhänger der „Industriellen Revolution“ 1854 die Industrieausstellung nach München brachte, sondern auch als ein großer Förderer von Wissenschaft und Kunst in Erscheinung trat

(u. a. Stiftung des Maximilianeums für Hochbegabte aus dem Privatvermögen des Königs). Sein Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Göttingen und Berlin gab den Impuls dafür, dem Beispiel seines Vaters Ludwigs I. zu folgen und mit der Maximilianstraße eine weitere Prachtstraße (Maximilianeum, Gebäude für Bayerisches Nationalmuseum und Regierung von Oberbayern) in München von Friedrich Bürklein errichten zu lassen. Als Stilrichtung sollte die angelsächsische Neugotik, vermischt mit Elementen der Renaissance und anderen historischen Kunstepochen, vorherrschen. Die Zeit des Historismus war lange angebrochen. Zugleich musste man dem Anspruch und der Notwendigkeit der Moderne gerecht werden. Und dies sollte in ganz Bayern beim Bau von öffentlichen Gebäuden, bei denen man vor allem auch den Repräsentationscharakter betonen wollte, als Maßstab dienen. Die Einheit und Geschlossenheit von kunstgeschichtlichen Stilrichtungen wurde zugunsten künstlerischer Freiheit und individueller Gestaltung allmählich zurückgedrängt.

Solche Vorgaben und Zielsetzungen Max II. und ihre Realisierung führten dazu, dass man sehr bald vom „Maximilianstil“ sprach, ein heute gängiger Terminus im kunstgeschichtlichen Vokabular. Ein öffentlicher Architektenwettbewerb des Königs (1850/51 für den Bau des Maximilianeums), der einer neuen Stilrichtung den Weg bahnen sollte, bildete hierfür den Auftakt.
Das Pfaffenhofener Rathaus, das am 26. Mai 1868 feierlich eingeweiht und eröffnet wurde, gehört zur ersten Serie von Bauten, die in diesem Stil errichtet wurden. Der Weg zur Verwirklichung war vor allem wegen knapper Geldmittel recht mühsam, aber die Lage brisant. „Die Stadt besitzt kein Rathaus, sondern nur ein ganz gewöhnliches Haus, in welchem mit Not die Kanzlei, ein kleines Sitzungszimmer und die Wohnung des Stadtschreibers untergebracht werden können.“ So zitiert Heinrich Streidl („Stadt Pfaffenhofen“, 1980, S. 158) aus dem Bericht des Stadtschreibers die Situation der Verwaltung im Jahre 1863. 1865 begann nach der zögerlichen Genehmigung durch die Regierung Architekt Franz Xaver Beyschlag mit der Planung. Er gehörte als Bauhauptmann zur staatlichen Bauinspektion München und wirkte als Baukondukteur auch in Bad Reichenhall und Bayreuth. Ebenso wie sein Zeitgenosse Friedrich Bürklein ist er aus der berühmten Schule Friedrich von Gärtners an der königlichen Akademie der Künste hervorgegangen, dem zur Zeit Ludwigs I. neben Leo von Klenze bedeutendsten Baumeister in Bayern. Die Planung des Pfaffenhofener Rathauses gehörte zu den letzten Projekten Beyschlags. Er starb am 24.05.1866.

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Modernität vereinigt sich im Bürgerbüro mit einem baulichen Denkmal.
Wenige verbliebene Zeugen einer vergangenen Kultur
Das nur als kurzer Abriss einer durchaus nicht nebensächlichen Entstehungsgeschichte eines zentralen städtischen Amtsgebäudes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das nicht nur als Denkmal überregionaler Baugeschichte, sondern auch als Ausdruck des Denkens und Empfindens der Bürger Pfaffenhofens und ihrer Zeit zu sehen ist! Es gehört zu den wenigen verbliebenen Zeugen der kulturgeschichtlichen Vergangenheit der Stadt! Umso mehr musste und muss der Umgang mit diesem denkmalgeschützten Objekt in besonderem Maße von Gewissenhaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein getragen sein. Bei der Neugestaltung galt es nicht nur seiner historischen Bedeutung gerecht zu werden, sondern vor allem auch auf seine zeitgemäße Funktionsfähigkeit als Stätte der Verwaltung und Dienstleistung ein zentrales Augenmerk zu richten. Geschichte und Gegenwart waren zu harmonisieren: Ein Bürgerbüro hinter Glas und antike Säulen, ein Personenaufzug und die gotischen Spitzbögen der Etagen, eine moderne Decke auf Grund technischer Notwendigkeiten und das historische Ambiente des Festsaals usw. Spezielles Wissen, Erfahrung und Einfühlungsvermögen waren Voraussetzung für ein solches Unterfangen. Gleiches wird auch für die Neugestaltung des Hauptplatzes gefordert sein, der ja mit dem Rathaus eine bauliche Einheit darstellt. Wenn hier gleich drei Varianten zur Auswahl angeboten werden, dann zeugt das nicht gerade von großer „Selbstsicherheit“. Und ein Laie wird sich im Rahmen einer demokratischen Entscheidung wohl gleichermaßen erst recht nicht ganz leicht tun.

Den für die Restaurierung und Neugestaltung des Rathauses Verantwortlichen ist es jedenfalls gelungen, Vergangenheit und Modernität zu einer Einheit zu verschmelzen und damit einem Postulat Gotthold Ephraim Lessings zu entsprechen: „Die Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand erleuchten!“ Auch in anderen Lebenszusammenhängen wäre gerade das unserer Zeit zu wünschen.