Lebenswerk – Jahrhundertwerk

Lenz Prütting stellt seine umfassende Studie über das Lachen vor

Selbst ein passionierter „Homo legens“, ein leidenschaftlicher Bücherfreund, kann ein unwillkürliches „unverfügbares Bekundungslächeln“ nicht verbergen, wenn ihm Lenz Prütting sein scheinbar überdimensionales dreibändiges Werk „Homo ridens“ für eine Rezension überreicht. Angesichts des Titels und des bemerkenswerten Umfangs packt sogar einen Lesefreudigen ein plötzliches Erstaunen, in dem sich Bewunderung und Anerkennung mischen wie bei jenem von solcher Dimension überwältigten urbayerischen Handwerker, der nur ein respektvolles „Jo, mi leckts am Oasch!“ bei seinem Aufenthalt auf dem idyllischen Trobartl-Hof im Golddorf Göbelsbach über die Lippen brachte, dort, wo die Prüttings beheimatet sind und im nächsten Jahr zum 25. Mal ihr viel und von weit her besuchtes Kunstfest veranstalten, bei dem der Hausherr mit formvollendeten Messern gleichermaßen einen außergewöhnlichen und unerwarteten Beitrag leistet. Mit einem „verfügbaren Interaktionslächeln“ scheint er auch da auf das Staunen seiner Mitmenschen zu reagieren, wenn er mit ihnen Kontakt aufnimmt, um ein tiefsinniges Gespräch über Kunst zu beginnen. Und es mag bei ihm im Falle seines „Homo ridens“ zudem insgeheim ein klein wenig gütige Schadenfreude mitschwingen, sobald er den staunenden Augen jenes lächelnden potentiellen Lesers begegnet, für den er ihn geschrieben hat.

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Lenz Prütting läutet mit seiner Frau Doris das jährliche Kunstfest ein.

Phänomenologische Studie
Beide, das „unverfügbare Bekundungslächeln“ des zunächst kurzfristig Konsternierten wie das „verfügbare Interaktionslächeln“ des Abgeklärten gehen letztendlich über in ein gemeinsames, nur tendenziell „verweigerbares Resonanzlächeln“, das beim Autor nach Vollendung seines profunden Lebenswerks, das er in elf Jahren geschaffen hat, zu Recht auf einem Wohlgefühl der Erleichterung, Zufriedenheit und Erfüllung gründet, beim „Homo legens“ aber auf der Vorfreude und der mit Spannung erwarteten Lektüre jener nahezu 2000 Seiten über eine nur scheinbar unscheinbare Thematik: „Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens“. Dabei wollte Lenz Prütting anfänglich doch nur einen Aufsatz über „das in der Theorie des Komischen völlig übersehene Phänomen der Prozess-Komik“ schreiben, um sich als Dramaturg am Theater „mehr Klarheit über die eigene Arbeit zu verschaffen.“ (Homo ridens, S. 7)

Allein diese drei Grundtypen des Lachens, die der Autor auf dem Fundament eines ideengeschichtlichen Diskurses, der von der griechischen Antike bis in die Gegenwart reicht, erforscht und vor Augen führt, sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Studie mit einem ureigensten Phänomen menschlicher Natur („proprium hominis“), einer besonderen und vielfältigen Form „sprachlicher“ Kommunikation der Selbstpreisgabe und der Selbstbehauptung, befasst, und der Leser es keineswegs mit einem Buch zum Lachen zu tun hat. Lenz Prütting weist bereits in den ersten Sätzen der Einleitung darauf hin, „dass man das Lachen gar nicht ernst genug nehmen könne, weil mit dem Lachen nicht zu spaßen sei.“ (S. 33) Ausgehend von der beeindruckenden Schilderung persönlicher Erlebnisse werden hier auf sehr anschauliche, übersichtliche und verständliche Art und Weise die benutzte Fachterminologie, Methode und Zielsetzung des Werks vermittelt.

Es geht nicht nur darum, wie zumeist in den zahlreichen bisherigen Abhandlungen zu diesem Thema, Auslöser und Situationen des Lachens zu beschreiben oder lediglich Theorien zu entwickeln, sondern vorweg darum, „Einzelaspekte des Lachens zu erkunden, sie zu ordnen und zu einer Lachpalette zu integrieren.“ (S. 46) Auf der Grundlage der Erkenntnisse von Helmuth Plessner und hauptsächlich der von Hermann Schmitz tragen Darstellung und Deutung der einzelnen Arten und ihrer Erscheinungsformen, auch wie sie nach Alter, Temperament, sozialem Status usw. auftreten, ohne Zweifel zu einem besseren Verständnis menschlichen Verhaltens, ja des menschlichen Wesens schlechthin, in hohem Maße bei.

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Um dieses Ziel zu erreichen, ist für Lenz Prütting zunächst eine umfassende und tiefgreifende Betrachtung, Untersuchung und Bewertung von Denk- und Verhaltensmustern des „Homo ridens“ in der Geschichte, wie sie im ersten Teil der Studie dargeboten wird, unabdingbar notwendig. Theorien des Lachens werden hier in ihrer historischen Entstehung, Entwicklung und Tradition analysiert und jeweils entsprechend dem Zeitgeist einer sehr differenzierten kritischen Prüfung unterzogen, die vor allem auch auf logische Defizite hinweist und Widersprüche entlarvt, wobei der Vergleich eine wichtige Rolle spielt.

Heitere Aufklärung

Die Bandbreite der Betrachtung reicht von „satanischem“ Lachen bis hin zu „eutrapelistischem“ (altgriech. εύτράπελος= gewandt, witzig, fein/„Eutrapelie“ ist in der nikomachischen Ethik des Aristoteles die „Tugend der angemessenen Mitte“, die feine Art, wie ein gebildeter Mensch sich schönen Dingen zuwendet, ohne ihnen zu verfallen!). So erfährt Lachen bei der ethischen Ausrichtung Platons, der Stoa, Augustinus und wegen seiner Sündhaftigkeit bei lachfeindlichen Kirchenvätern des hohen Mittelalters bis hin zu Thomas Hobbes und Charles Baudelaire Misstrauen und Ablehnung. Die anthropologisch orientierte Schule, die von Aristoteles, Thomas v. Aquin, dem Retter der christlichen Eutrapelie, bis hin zu Joubert, Kant, Plessner und Schmitz reicht und der sich auch Prütting zurechnet, würdigt es als „proprium hominis“.

Wie irreführend, vielfach wegen ihrer Orientierung an alten, sehr engen Denkmustern, die bisherigen Beiträge einer physiologisch-mechanistisch-energetisch orientierten Richtung eines René Descartes und dessen Evolutionstheorie, eines Herbert Spencer bis hin zu Sigmund Freud sind, weist der Autor ebenso überzeugend nach wie den dürftigen Erkenntnisgewinn der ethologisch-evolutionsgeschichtlichen Lehre, die von Charles Darwin über Ernst Haeckel bis hin zu Konrad Lorenz reicht, dessen falscher Denkansatz, dass im Triumphgeschrei von Graugänsen ein analoges oder sogar homologes Verhalten zu menschlichem Lachen zu sehen sei, sehr deutlich und nachdrücklich widerlegt wird, auch wenn eine solche Auffassung vornehmlich in den angelsächsischen Ländern in der Gegenwart allenthalben vertreten wird. Besondere Beachtung verdient das umfangreiche, anregende Kapitel über die „Heitere Aufklärung“, eine Lebenskultur, die heute nahezu in Vergessenheit geraten ist und nach dem Elend eines verheerenden Dreißigjährigen Kriegs das eutrapelistische Lachen wieder erweckt hat.

Nach dieser sehr breit angelegten mentalitätsgeschichtlichen Betrachtung des Lachens steht in einem sys-
tematischen Teil die anthropologisch orientierte Argumentation im Mittelpunkt der Betrachtung. Über die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen Helmuth Plessners und ihrer Fortführung und auf dem Fundament des Begründers der Neuen Phänomenologie, Hermann Schmitz, beantwortet Lenz Prütting die Fragen nach Wesen, Formen und Funktion der Grundtypen des Lachens (s. o.!) wirklichkeitsnah, sehr anschaulich und präzise.

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Die Stufen der Lachmündigkeit des Menschen im Rahmen seiner personalen Emanzipation, nämlich der Befreiung des Heranwachsenden von Abhängigkeit, seiner personalen Regression, dem Rückgriff auf frühere Verhaltensmuster, und seines synergetisch-synästhetischen Gesamtverhaltens, des Zusammenwirkens verschiedener Empfindungen, werden in dem breiten Spektrum eines Kontexts verschiedenster Situationen und Denkweisen erörtert. Grundsätzlich besitzt Lachen als ein „Widerfahrnis“ für den Autor „uroborischen“ Charakter, einen sich verzehrenden Impuls, d. h., dass bereits bei seinem Ausbruch sein Ausklingen und sein Ende festgelegt sind. Gleichzeitig gibt der Mensch alles auf, was ihn sonst als Wesen kennzeichnet: Seine aufrechte Haltung, seine charakteristische natürliche Gestik, seine rhythmisch ausgewogene Atmung usw. Dann kehrt er ebenso wie beim Weinen „kathartisch“(gereinigt) und erholt zurück in den gewohnten, seinem Entwicklungsstadium entsprechenden Zustand. Auch die Studie Lenz Prüttings selbst scheint nach dem fulminanten Auftakt irritierender Lacherlebnisse und der folgenden umfassenden, detaillierten und engagierten Auseinandersetzung mit dem Lachen schlechthin im abschließenden Kapitel über „Die Lebensfunktionen des Humors“ in ein entspanntes Dasein zurückzuführen.

Ist bei der ersten Begegnung mit dem Werk der plötzliche Impuls des Staunens über seinen Umfang „uroborisch“ abgeklungen und im Sinne Platons und Aristoteles eine kontemplative Muße eingetreten, wird das Lesen für jedermann zu einem Prozess menschlicher Selbsterkenntnis. Denn es führt hinein in eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen und Weltbilder und ihres Wandels, die für Lenz Prütting als Kontext die unabdingbare Voraussetzung für eine differenzierte Analyse der Erscheinungsformen des Lachens bilden: Gesellschaftsform, Kunst, Literatur, Medizin, Naturwissenschaften, Religion, Psychologie usw. usw. dienen seiner anschaulichen und überzeugenden Argumentation und einer hieb- und stichfesten Beweisführung, die auf wörtlich und zuverlässig zitierten Quellenangaben fußt.

Dort, wo für ihn keine eindeutige Schlussfolgerung möglich ist, macht er kein Hehl daraus und versucht dem Leser mögliche Wege aufzuzeigen, die diesem zu einer persönlichen Sicht verhelfen können. Nach beendeter Lektüre der Studie gelangt man im Rückblick zu der in der Antike unumstrittenen Erkenntnis, dass die Philosophie (noch immer) die Mutter der Wissenschaften ist. Und gerade auch das macht den „Homo ridens“ zu einem Jahrhundertwerk.

  • Lenz Prütting: Homo ridens. Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens. Verlag Karl Alber, Freiburg und München 2013, 3 Bde., 1947 S.
  • Der Autor: Lenz Prütting, Jahrgang 1940, studierte in Erlangen und München Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaft. Nach seiner Dissertation und nach zehn Jahren Arbeit am Institut für Theaterwissenschaft der Universität München ging er in die Theaterpraxis und wirkte dort an verschiedenen Theatern als Dramaturg und Regisseur sowie als Übersetzer dramatischer Texte (W. Shakespeare, Molière, J. M. Synge).
  • Vorstellung/Lesung des Werks:
    Freitag, 7. November, 20.00 Uhr,
    Galerie Pennarz, Hinterer Bergweg 2
    (Altes Schulhaus), Gundamsried
    Kontakt: Tel. 08441/72952
    E-Mail: leni@pennarzgalerie.de