von Hellmuth Inderwies
Vereinssitz und Schwerpunkt der Aktivitäten von Pro Europa Una e. V. wurden zwar seit geraumer Zeit in die Landeshauptstadt München verlagert, Pfaffenhofen als Geburtsstätte des „Kulturkomitees für europäische Integration“ ist deswegen jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Die Jahreshauptversammlung 2017 fand nicht ohne Grund in der Gaststätte Pfaffelbräu statt, wo in der Vergangenheit zahlreiche Aktivitäten auf den Weg gebracht worden waren. Aktivitäten, die sich vorweg zum Ziel setzten, engere Kontakte zwischen den klassischen Hopfen- und Weinländern Bayern und Italien zu knüpfen. Auch dem neuen und wieder im Amt bestätigten Vereinsvorsitzenden Andrea Masciavé, Nachfolger des Gründungsvaters Antonio Cigna, ist es ein Anliegen, an die Ursprünge der Vereinigung zu erinnern, zumal in der kulturhistorischen Perspektive ein wesentlicher Teil ihres Selbstverständnisses zum Ausdruck kommt.
Dass bei der Jahreshauptversammlung eine signifikante Dominanz der teilweise von weither angereisten italienischen Mitglieder gegenüber dem zumeist ortsansässigen deutschen Kontingent zu registrieren war, überraschte ein wenig. Diesem Verhältnis entsprach auch bei der anstehenden Wahl die zukünftige Zusammensetzung der Vorstandschaft: An der Spitze steht für weitere drei Jahre Andrea Masciavé, Stellvertreter ist Luigi Favarin, Schatzmeister Stefano Zenorini und als einziger Deutscher versieht Franz Hofauer wie bisher das Amt des Schriftführers. Die Stelle von Siegfried Friedenberger als Kassenprüfer, der in seinem Bericht die äußerst korrekte und zudem außerordentlich erfolgreiche Haushaltsführung des Vereins hervorhob, fiel an Riccardo Fontana. Im Mittelpunkt der Rechenschaftsberichte standen freilich die Aktivitäten des letzten Jahres, so eine zweitägige Großveranstaltung als Beitrag zur Integration Europas in München, bei der beim Auftakt im Sprachen- und Dolmetscher Institut (SDI) der Vorsitzende von Pro Europa Una Leitbild und Ziele des Vereins vor Augen führte und der ehemalige Pfaffenhofener Kulturreferent Hellmuth Inderwies unter dem Thema „Gemeinsame ethische Werte als Fundament Europas“ den Festvortrag übernahm. Der „Münchener Mandolinenzirkel“ gestaltete hierzu einen unterhaltsamen und zugleich anspruchsvollen Rahmen mit einer bunten Folge musikalischer Weisen aus vielen europäischen Ländern, um deren Vereinigung symbolhaft zu demonstrieren. Am Tag darauf erfolgte im Liebfrauendom im Rahmen eines feierlichen Gottesdiensts, den Dompfarrer Hans-Georg Platschek zelebrierte, die Segnung von Hopfen und Weintrauben. Im Anschluss daran klang ein fröhliches Fest, an dem viele Menschen verschiedenster Nationalität teilnahmen, mit Auftritten des italienischen Tenors Guiseppe Del Duca aus Neapel und Tanzdarbietungen der Folkloregruppe des slowenischen Kulturvereins Lipa auf dem Frauenplatz aus.
Die für 2017 geplanten Aktivitäten entsprechen dem Leitbild von Pro Europa Una: Bereits im April ist die Teilnahme und Mitwirkung bei einem von der italienischen Gemeinschaft „Suore del Bell’Amore“ organisierten internationalen Familientreffen in München geplant. Im Juni / Juli soll im Kloster Seeon ein Symposion zur „Benediktinischen Fackel“ stattfinden. Sie gilt als Symbol für Einheit und Frieden auf dem europäischen Kontinent, wird jedes Jahr im Wechsel in einer europäischen Großstadt während eines Gottesdienstes feierlich entzündet und hernach zum Grab des hl. Benedikt, des Vaters des Abendlands, in Montecassino gebracht. In diesem Rahmen will man sich um Spenden für den Wiederaufbau der Basilika von Norcia, die bei dem schweren Erdbeben am 30. Oktober 2016 gänzlich zerstört wurde, bemühen. Im September wird wiederum das traditionelle „Hopfen- und Weintraubenfest“ gefeiert, u. U. soll auch das Lutherjahr in das Gesamtprogramm einbezogen werden und für die Weihnachtszeit ist eine Ausstellung von Krippen aus ganz Europa geplant.
Dies ist der Weg, auf dem man die zentralen Ziele des Vereins zu verwirklichen sucht: „Wir müssen unsere gemeinsame europäische Kultur, die Kunst, die Traditionen und Bräuche, die christlichen Wurzeln, die Familie bewahren und pflegen wie eine wertvolle Pflanze.“ Nur so kann, wie es einst Antonio Cigna zum Ausdruck brachte, „ein gemeinsames Europa von unten her entstehen und wachsen.“ Sonst werde der alte Kontinent eines Tages überrollt – von der „Fast-Food-Unkultur“ und von einer Gesellschaft, die alles entsorgt, was keinen schnellen Profit abwirft. Nur auf dem Fundament der in seiner Geschichte oft sehr hart erkämpften Werte wird der alte Kontinent eine gemeinsame, tragfähige und lebenswerte Zukunft nachhaltig gestalten können.
Wilhelm von Humboldts Überzeugung, dass nur der Zukunft hat, der die Vergangenheit kennt, ist unverkennbar auch die Maxime von Pro Europa Una. Der bedeutende Gelehrte, Reformer des preußischen Staats und des gesamten deutschen Bildungswesens zu Beginn des 19. Jahrhunderts, gehört zu jenen großen Persönlichkeiten der Kulturgeschichte, die mit ihrem Wirken die Zukunft am nachhaltigsten beeinflusst haben. Nach ihm gewährleistet allein eine ganzheitliche Ausbildung auf dem Fundament der Erkenntnisse der Vergangenheit die geistige Eigenständigkeit des Menschen und ist Voraussetzung dafür, dass er imstande ist, sich mit den grundlegenden existenziellen Fragen wie Gerechtigkeit, Frieden, Beziehung zu Natur und Umwelt usw. auseinanderzusetzen. Auf dem tragenden Fundament kulturgeschichtlicher Errungenschaften baute er seine umfassenden Reformen auf, die bis zum heutigen Tag nicht nur im deutschen Erziehungs- und Bildungssystem nachwirken, aber in der Gegenwart, die vielfach nur den vordergründigen Begriff „Veränderung“ kennt, mehr und mehr in Vergessenheit geraten.
Es ist schon merkwürdig, wenn ein nicht unbekannter Künstler wie Horst Hoheisel beim Wettbewerb zur Errichtung eines Denkmals für die deutsche Einheit das Brandenburger Tor in Berlin in einer Schredderanlage in Schotter verwandeln wollte, der dann als Belag auf 30 Kilometern Autobahn den Menschen bei der Fahrt an die deutsche Wiedervereinigung erinnern sollte. Dafür müsse ein seiner Ansicht nach wertlos gewordenes geschichtliches Symbol zerstört werden, um menschliches Bewusstsein aufzubauen. Ob das der richtige Weg ist? Europa hat vor noch nicht allzu langer Zeit genug „Zerstörung“ erlebt. Da werden fundamentale Werke der Literatur aus fachwissenschaftlichen Bibliotheken entsorgt, weil sie drei Jahre nicht mehr ausgeliehen wurden und man deshalb die Gefahr fürchtet, zukünftig ein Archiv oder Museum verwalten zu müssen. Man sollte gewiss nicht alles aufbewahren. Aber eine Bibliothek ist nicht nur die Vermittlerin zeitgenössischen Schrifttums, sondern in sehr viel höherem Maße eine Vermittlerin kulturgeschichtlichen geistigen Erbes. In der Vergangenheit war es das Ziel von Kulturrevolutionen, dieses Erbe gänzlich auszulöschen, um Platz für ein neues Bewusstsein zu schaffen. Sie sind durchweg gescheitert. In der Gegenwart scheint dem alten Kontinent Europa eher aufgrund seines materialistisch ausgerichteten opportunistischen Veränderungsdrangs die Wertschätzung seiner geschichtlichen Errungenschaften verloren zu gehen.
Werte einer demokratischen Gesellschaftsordnung
Diesem Trend versucht Pro Europa Una durch seine stark an der kulturgeschichtlichen Vergangenheit orientierten Aktivitäten entgegenzuwirken und jene Werte in Erinnerung zu rufen und sie am Leben zu erhalten, wie sie auf das klassische Athen, auf Rom und das Christentum zurückzuführen sind. Es sind die Werte einer demokratischen Gesellschaftsordnung, rechtsstaatlicher Verwaltung und des sozialen Miteinanders, die ein Zeitalter der Aufklärung zwar befördert, aber nicht erst erfunden hat. Wenn eine europäische Integration gelingen soll, dann wohl nur auf diesem Weg! Ein einheitlicher Markt mit gemeinsamer Währung, der Aufbau politischer Institutionen und eine Unzahl von Verordnungen sind bei weitem zu wenig, wie der Brexit, der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, sehr deutlich zum Ausdruck bringt.