von Lorenz Trapp
„Kunst ma ned a Markl leih’n?“ Der Bart dieses Witzes ist so lang, dass man ihn ohne „Challabadqap“ (arabisch für: Hallenbadkappe) nicht ins Schwimmbad tragen dürfte. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt noch Schwimmbäder gibt, die auf der Kappenpflicht bestehen. Sicher ist, dass die Bairische Sprache mit dem Sibirischen Tiger eines gemeinsam hat: Sie wird aussterben, so haben Wissenschaftler festgestellt. Nun haben Wissenschaftler schon vieles festgestellt, von dem wir uns nicht irritieren ließen, und während seltsamerweise genau dann Prognosen zum Menetekel an der Wand, zu düsteren Gemälden verkommen und irgendwann vergessen werden, erhebt sich hinterrücks und unerwartet die Antithese zu voller Gestalt und spricht wieder Bairisch (siehe vorher). Dafür wiederum geschehen andere Dinge vollkommen unprognostiziert. Was der Sibirische Tiger unternimmt, werden wir wohlwollend beobachten.
Wir sind nämlich beschäftigt. Wir retten die Kunst vor dem Aussterben. Um diese hehre Aufgabe zu erfüllen, bedarf es selbstverständlich mehr als morgens vor dem Spiegel zu stehen, sich in die Augen zu blicken und darüber nachzudenken, ob ein Besuch im Zoo geeignet wäre, den Bestand der dort inhaftierten Tiere für die weitere Zukunft zu erhalten. Das ist eine Frage, deren Antwort unweigerlich in den Zoo führt, allerdings offen lässt, ob wir uns vor oder hinter den Gitterstäben wiederfinden.
Kunst will leben, Kunst will ruhen im Kultursommer, zu dem uns die Stadt wieder eingeladen hat. Und das Fest ist schon im vollen Gange. Wir können, wir wollen gar nicht mehr aus, obwohl: Schöne Sommertage, laue Sommerabende, locken sie nicht ins kühle Erfrischung liefernde Freibad, in lauschige Biergärten – „Keinerin, no a Mass!“ –, wo die Kunst der Kommunikation – auch so eine aussterbende Spezies aus dem Kanon der sozialen Schlüsselqualifikationen – so gelassen geübt werden könnte? Biergarten haben wir immer noch keinen, selbst wenn wir uns so drauf freuen – „Geh weida, Norbert, dummed di‘!“ –, und der Liebe und des Freibads Wellen werden nun eine Zeit lang ohne mich auskommen müssen. Ich als Bürger rette die Kunst, mit Aug und Ohr. Es gibt ja so viel zu sehen und zu hören.
Wer dieses Ereignis als Sturm im Wasserglas bezeichnet, verschließt respektlos die Augen vor der vielen Arbeit, die unsere Kulturschaffenden in den zurückliegenden Monaten geleistet haben, um diese Flut von außergewöhnlichen Veranstaltungen auf die kommunalen Beine zu stellen. Zum absoluten Höhepunkt des Kultursommers ruft die „Nacht der Kunst“ am 6. Juli. Die ganze Stadt ist voll, ein Event jagt das andere, die Wetterprognosen (die einzigen übrigens, auf die man sich verlassen kann; siehe vorher) sind so gut wie lange nicht mehr – und ich habe ein Problem. Wo soll ich zuerst hin, wo soll ich dann hin, wo brauche ich nicht hin? Muss ich überhaupt hin?
Der Mensch, ich also, so haben Wissenschaftler festgestellt (siehe vorher), trifft seine Entscheidungen im Komparativ: Er müsse sich – wie süchtig quasi – entscheiden für das, was er für das vermeintlich Bessere hält – oder das kleinere Übel. Zwei Herren kommen auf Sie zu, der eine im feinen Zwirn, der andere abgerissen wie ein Clochard: „Kunst ma ned an Euro schenga?“ Wem würden Sie den Euro eher geben? Sagen Sie bloß nicht, keinem von beiden, Sie brauchen den Euro für den Eintritt ins Schwimmbad.
Naja, es würde sich lohnen: „Sundowner“, eine Lyriklesung, 20. Juli, Kunst also auch im Freibad, der Eintritt ist übrigens frei. Dann eben ab mit dem Euro in den Biergarten. Ein bisschen plaudern. Ratschn hoid.