von Lorenz Trapp
Die Zeit der Unschuld ist vorbei. Wir tragen ein Zeichen auf der Stirn, eine Auszeichnung, einen „Award“ der Entjungferung, der uns in die Liga der Erwachsenen-Spiele katapultiert. Hervorgegangen aus der großen Körung der Städte sind wir als deren lebenswerteste, und so etwas verpflichtet – wie Eigentum.
Fangen wir also an, der Welt zu zeigen, was tatsächlich eine lebenswerte Harke ist. Zum Glück spielt uns die Zeit gerade die Bälle zu: An der Vergnügungstür klopft vehement der Fasching, eine Jahreszeit wie ein Rodeo, bei dem sich nicht nur Narrenkappen und Tarnkappen einen Wettstreit liefern, den bunte Garden, die Cheerleader der Fröhlichkeit, mit hochgestreckten Beinen ästhetisch übermalen. Da loben wir uns die Schäffler, die mit ihrem ernsthaften Auftrag besinnliche Struktur in den turbulenten Alltag bringen und die Menschen dennoch auf die Straße locken – und auf den Hauptplatz.
Nichts wie hin also, solange noch Platz ist. Denn bald schon sollen die ersten Touristen kommen, immer mehr sollen sie werden, babylonisches Stimmengewirr, wurlende Zustände werden herrschen wie im toskanischen San Gimignano. Also nichts wie hin, solange wir noch unschuldig über den Hauptplatz schlendern können, um jemanden zu treffen, den wir kennen, den wir grüßen und mit dem wir gar plaudern dürfen.
Da fällt mir eine Geschichte ein, die ich höchstpersönlich auf dem Hauptplatz erleben (lebenswert!) durfte: Die drei Gscheidhaferl Aserl, Beserl und Ceserl streiten sich wortgewaltig und rumfuchtelnd, wer von ihnen denn der Gescheiteste sei, und kommen zu keinem Ergebnis. Da treffen sie vor der Mariensäule auf den Kasperl: „Aufgemerkt, Burschen!“, sagt er, „ich habe hier fünf Mützerl, drei weiße und zwei schwarze“. Er lässt die Gscheidhaferl die Augen schließen und setzt einem jeden von ihnen ein weißes Mützerl auf; die schwarzen versteckt er in seiner Tasche und ruft: „Augen auf, Burschen! Wer mir als erster sagen kann, welche Farbe die Mütze auf seinem Kopf hat, der ist der klügste von euch“.
Da stehen sie nun, die drei Gscheiderl aus dem Abendland, jedes sieht zwei Gscheiderl mit weißer Mütze vor sich, und Aserl, Beserl und Ceserl fangen an zu denken. Plötzlich schreit Aserl: „Ich habe ein weißes Mützerl auf!“
„Brav“, sagt der Kasperl. Er weiß nämlich, dass Aserl gedacht hat, wenn er, Aserl, eine schwarze Mütze aufhätte, würde Beserl denken, wenn er, Beserl, ebenso eine schwarze Mütze aufhätte, würde Ceserl sofort merken, dass er nur eine weiße aufhaben kann; weil aber Ceserl und Beserl nicht reagieren, schließt Aserl messerscharf, dass er nur eine weiße Mütze aufhaben könne. Wäre allerdings Ceserl (weder verwandt noch verschwägert mit Caesar) auf gut bairisch „eine Matz“, hätte er sich einfach dumm gestellt und nichts gesagt, obwohl er, möglicherweise, zwei schwarze Mützerl sieht – und gelackmeiert wär derjenige gewesen, der als erster den Mund aufgemacht hätte.
Aber wir wissen ja, dass alle Gscheidhaferl weiße Mützerl tragen; nur jetzt, wenn der Fasching richtig ins Rollen kommt, gibt’s Abwechslung bei den Kopfbedeckungen. Doch darunter, unter goldenen Kronen, bunten Kasperlmützen, lässigen Cowboyhüten, gepunkteten Piratentüchern und gotischen Robin-Hood-Kapuzen, darunter bleibt für immer und ewig das weiße Mützerl. Weiß eben, wie die Unschuld vom Lande. Und die wollen wir auch bleiben.