von Oliver Hübel
Die Wehrpflicht traf mich unvorbereitet. Irgendwann als ich achtzehn war, kam der Brief zur Erfassung meiner Person. Die Erfassung dient der Bundeswehr vor allem dazu, festzustellen, ob man nicht unbemerkt gestorben ist, das Land verlassen hat oder fälschlicherweise ein Mädchen ist.
Auf die Erfassung folgte ein Jahr später die Ladung zur Musterung. Spätestens jetzt musste ich anfangen, mir Gedanken zu machen, was ich eigentlich mit meiner Zukunft machen wollte.
Ich ging auf das Gymnasium, interessierte mich brennend für Geschichte, mein Lieblingsfach war Deutsch.Mein Ziel war ein Studium, das meine Interessen vollständig befriedigt, mir viel Freizeit lässt und das mich später unweigerlich in den Geld-
adel unseres Landes aufsteigen lassen musste. Soweit die Theorie.
Die Ausmusterung hätte meine Zukunftsutopien möglichst zeitnah Wirk-lichkeit werden lassen können, doch ich besann mich auf meine staatsbürgerlichen Pflichten. Ich begann, Leute auszufragen, die gerade „dienten“ oder schon gedient hatten,
versuchte im Internet Informationen zusammenzutragen und mir ein möglichst realistisches Bild vom Grundwehrdienst zu machen. Irgendwann war ich überzeugt davon, dass die Grundausbildung sicherlich kein Zuckerschlecken war. Jeden Tag vor dem Frühstück durch den Schlamm robben, Märsche durch halb Deutschland, unsinniges, stundenlanges Salutieren, Strammstehen bis zur Schmerzgrenze und autoritätshöriges „In-den-Hintern-kriechen.“ Nach der Grundausbildung begannen, laut meinen Informationsquellen, sechs t-o-d-langweilige Monate in Wachstuben und mit sinnfreien Kaffeeholniveau-Tätigkeiten. Dazwischen Saufgelage, die meine untertrainierte Leber sicher vor eine schwere Herausforderung gestellt hätten. Und wer sich nicht in die Truppe einfügen konnte, wird in einem Stahlspind aus dem 3. Stock geschmissen.
Natürlich nehme ich solche Geschichten nicht tatsächlich für voll. Ich wollte meinen GWD (Grundwehrdienst) ableisten, um die Armee aus erster Hand kennen zu lernen. Nicht einmal eine Karriere als Offizier schloss ich aus.
Zum Zeitpunkt der Musterung war ich also motiviert. Wegen einer leichten Fehlhaltung und anderen, unbedeutenden Verkrüppelungen bekam ich schließlich den Tauglichkeitsgrad „2“ zugewiesen. Nicht geeignet als Gebirgsjäger und Fallschirmspringer. Nach der Musterung flaute mein Interesse am Wehrdienst allerdings ab; ich hatte eine Facharbeit zu schreiben, das Abitur zu bestehen und mich mit den Problemen meiner Jugend herumzuschlagen (durchzechte Nächte, Mädchen). Mein kürzlich erwachter Freiheitsdrang nach bestandenem Abitur, die Liebe zu meinen außerschulischen Tätigkeiten und vor allem der Mangel genauer Vorstellungen von der Bundeswehr, ließ mich schließlich eine spontane (Fehl)Entscheidung treffen. Meine Einberufung kam an einem Freitag im Juni. Ich wusste, dass ich noch bis Sonntag Zeit hatte, meine Verweigerung einzureichen. Mein Fax lag zwei Stunden vor Ablauf der Frist, gegen zweiundzwanzig Uhr sonntags, auf dem Schreibtisch des Kreiswehrersatzamtes.
Suche nach dem Zwangsdienst – Teil 2
Von Oliver Hübel
Wie ihr im ersten Teil lesen konntet, hatte ich meinen Wehrdienst also in letzter Sekunde doch noch verweigert.
Vorsichtshalber hatte ich mich schon Wochen zuvor nach möglichen Zivildienststellen umgehört. Über meine Mutter, die diverse Kontakte zur evangelischen Kirche pflegt, erfuhr ich von einer Stelle in der Gemeinde. Top, dachte ich mir, die freuen sich bestimmt über einen Nietzsche-Leser mit paganistischen Allüren. Also habe ich mir die Stelle angeschaut, mich vom Zivildienstleistenden rumführen lassen und bin mit gespaltenem Eindruck wieder gegangen.
Gespalten aus dem einfachen Grund, als dass sich der Zivildienst ja so angenehm wie möglich gestalten sollte (ist ja immerhin ein Zwangsdienst und man wird mit ca. einem Euro pro Stunde lausig bezahlt) – und hier in erster Linie putzen, schrubben, fegen anstand. Das hörte sich nach echter Arbeit an und passte außerdem nicht zu meinem Bild der klassischen Rollenverteilung (die ja seit dem Eva-Prinzip voll im Trend ist).
Als es so weit war, versuchte ich dennoch, die Stelle zu bekommen, da sie mangels Zeit und Motivation die einzige genauer angeschaute Stelle blieb. Aber der Zug war für mich abgefahren. Genau wie alle anderen, denn im Sommer gab es keine einzige freie Zivildienststelle in Pfaffenhofen mehr.
Heute sage ich: Gut so. Durch Zufall entdeckte ich nämlich einen Zettel am Schwarzen Brett unserer Schule, auf dem für das Therapiezentrum Aiglsdorf/Baumgarten in der Nähe von Nandlstadt geworben wurde. Ein Termin war schnell ausgemacht; man konnte sich riechen, ich bekam die Stelle. Das Aufgabenspektrum war nicht breit gefächert, sondern bestand in erster Linie in Autofahren und PC-Arbeiten (kein Problem mit der Rollenverteilung also). Einziger Wermutstropfen: Das „Team“ bestand sozusagen ausschließlich aus weiblichen Sozialpädagogen und Psychologinnen. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, wo hier Probleme auftreten könnten.
Dort verbrachte ich also meinen fünfmonatigen Dienst, und das nicht schlecht. Man ließ meinem Kollegen und mir viele Freiheiten in der Gestaltung unserer Dienstpläne (was dazu führte, dass wir uns eine Zeitlang abwechselnd einen Tag frei nahmen) und überließ uns weitestgehend die Organisationen von unseren Einkaufs- und Arztfahrten. Nicht zuletzt lag das an dem Drogenklientel, welches in unserer Einrichtung auf seine Freilassung wartete. Größtenteils in unserem Alter, war man immer zu einem Späßchen über die Zivildienstleistenden aufgelegt und meist sehr umgänglich.
Ich kann auf meine Zeit als Zivil-dienstleistender heute als eine positive Erfahrung zurückblicken. Neben einem verschlimmbesserten Fahrstil habe ich vor allem einen tiefen Eindruck in
die Drogen- und Arbeitswelt in all
ihren Erscheinungsformen bekommen. Und ich habe gelernt: Diese Welt ist keine einfache. Man durchlebt Höhen und Tiefen, wacht manchmal mit einem Kater auf, aber weiß: Morgen muss es weitergehen, weil du einfach nicht davon loskommst.
Nun ja, ich sitze nun seit einiger Zeit herum und warte auf eine Reaktion der Bundeswehr auf meine Bewerbung zum Offizier.
Vielleicht fällt mir noch etwas für den 3. Teil ein, ansonsten findet ihr nächsten Monat an dieser Stelle ein lustiges Bildchen. Oder so.