Keine Angst, Sie brauchen sich nicht zu entscheiden; machen Sie’s doch einfach sukzessive. Sie brauchen dafür eh nur zwei Tage, und die Welt wird wieder in Ordnung sein. An Halloween, am Vorabend von Allerheiligen, locken Sie in bester deutsch-keltisch-irisch-amerikanischer Tradition die bösen Geister in die Lebendfalle, auf dass sie sich nie mehr gegen schreiende Kürbisfratzen auf die Straße trauen werden; und dann rennen Sie noch beim Süßes-oder-Saures-Spiel von Haustür zu Haustür, von Pontius zu Pilatus, wie der Buchbinder Wanninger, und was bekommen Sie? Richtig: Süßes! Da freut sich der Mensch, wenn Tradiertes nicht nur Spaß macht, sondern auch was Lutschbares einbringt.
Weniger Lutschbares gibt es an Allerheiligen, am Nachtag von Halloween, an dem Christen die Gräber ihrer Verstorbenen schmücken und in stillen Minuten derer gedenken, die ihnen im Tod vorausgegangen sind. Nicht so lustig wie Halloween-Partys, zugegeben, doch ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass ein paar Momente der Besinnung einen prächtigen Beitrag dazu leisten können, sich wieder mehr auf die wesentlichen Dinge in dieser angeblich menschlichen Welt zu konzentrieren.
An dieser Stelle komme ich nicht umhin, wieder einmal den sino–bavarischen Philosophen Lao Ren-Tse zu zitieren: „Großzügig hat der liebe Gott auch der Dummheit erlaubt, plausible Sätze zu formulieren; das hat er einfach schlecht gemacht – aber wir geben nicht auf, solange es einen Unterschied gibt zwischen Eukalypse und Apokalypse“. Ha!, werden Sie rufen, wie, bitte schön, kommt der Meister der chinesischen Weisheiten dazu, ausgerechnet unseren lieben Gott zu bemühen? Ha!, rufe ich zurück, nennen Sie ihn doch, wie Sie wollen! Und lenken Sie nicht ab von der wichtigeren Aussage bezüglich der Dummheit.
Vor wenigen Tagen konstituierte sich der 19. Deutsche Bundestag, der seine Geschäftsordnung geändert hatte, damit niemand aus den Reihen der national-konservativen AfD als Alterspräsident die Sitzung eröffnen konnte. Als durchsichtigen Versuch, die AfD auszugrenzen, verurteilte deren Fraktionsgeschäftsführer Baumann diese Entscheidung: Die Regel, den ältesten Abgeordneten reden zu lassen, sei in 150 Jahren nur ein Mal gebrochen worden, nämlich 1933 von Hermann Göring, dem Reichstagspräsidenten der NSDAP, der damals die KPD-Abgeordnete Clara Zetkin habe ausgrenzen wollen. Selbst diese populistische Geschmacklosigkeit, die den Deutschen Bundestag in die Nähe von Nazimethoden schiebt, dürfte Hände finden, die ihr Applaus spenden. Nicht überwältigend viele, aber wir lernen daraus – mit dem oben genannten Lao Ren-Tse –, dass die Wahrheit durchaus eine Frage der Plausibilität werden kann: je mehr Applaus, desto plausibler. Derartige Wahrheiten soll’s ja auf europäischem Boden schon mal gegeben haben.
Wenig bis gar keinen Applaus finden zur Zeit die Bestrebungen Kataloniens, sich von Spanien in die Selbständigkeit zu lösen; da haben die führenden Presse- und Polit-Organe noch keinen klaren Kopf: Ist das jetzt national oder nationalistisch? Sozial oder sozialistisch? Wenig bis gar keinen Applaus finden aber auch die Bestrebungen Spaniens, die Absicht der Katalanischen Regierung mit allen Mitteln zu verhindern. Von der Macht des Applauses abhängige Wahrheiten sollen ja auch in Spanien schon vorgekommen sein – sogar bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts; da glauben wir Deutsche, mit der Gnade der späten Geburt ein kleines Bisschen besser dran zu sein. Was man halt so alles glaubt. Wenn’s genug klatschende Hände gibt, wird alles irgendwann plausibel.
Sollte Ihnen auf unserem Titelbild irgendetwas nicht ganz plausibel erscheinen, dann setzen Sie sich einfach in die Küche und denken darüber nach. Die Baugrube liegt zwischen Kellerstraße und Thallerstraße, im Herzen Ihrer kleinen Stadt. Bei diesem Projekt der WBG entstehen 36 öffentlich geförderte Wohnungen mit jeweils 55 bis 120 Quadratmetern; der soziale Wohnungsbau liege der Stadt sehr am Herzen. Beruhigen Sie sich, vor dem Wörtchen sozial brauchen Sie jetzt nicht gleich so zu erschrecken, das hat nichts mit sozialistisch zu tun. Sozial ist, wenn Wenig- und Geringverdiener, die vor den rapide gestiegenen Mietpreisen in die Knie gehen, mit einem unsichtbaren Almosen am Überleben gehalten werden, damit (oder weil) sie nicht mehr verdienen müssen.
Kehren wir zurück zum alten Lao Ren-Tse: Sicher haben Sie sich schon gefragt, was das soll mit Eukalypse und Apokalypse. Die Apokalypse, das müsste uns als Christen klar sein, ist die Offenbarung, die Entschleierung der letzten Geheimnisse; Sie merken, das erinnert eher an den Wunsch nach Transparenz, weniger nach Geheimdienstkrämerei. Die Eukalypse ist der schöne Schein, die euphemistische Verschleierung, das Vorgaukeln einer Pracht – und in Wahrheit (diesmal die applausunabhängige) steckt tatsächlich nur ein Gummibaum dahinter.
Aber, lieber Lao Ren-Tse, wir machen weiter, solange es noch diesen Unterschied gibt zwischen Eukalypse und Apokalypse. In aller gebotenen Gelassenheit natürlich. „Weißt du, Purzelchen“, so nickte er mir bei unserem letzten Treffen im Kaffeehaus zu, „lass es mich so sagen: Der Weg ist das Ziel, und die Schildkröte kann dir vom Weg mehr erzählen als der Hase.“
(von Lorenz Trapp)