Einen Künstler, einen wirklichen, nicht einen, dessen bürgerlicher Beruf die Kunst ist, sondern einen vorbestimmten und verdammten, ersehen Sie mit geringem Scharfblick aus der Menschenmasse. Das Gefühl der Separation und Unzugehörigkeit, des Erkannt- und Beobachtetseins, etwas zugleich Königliches und Verlegenes, ist in seinem Gesicht. In den Zügen eines Fürsten, der in Zivil durch die Menge schreitet, kann man etwas Ähnliches beobachten.“
Wer Reiner Schlamp kennt, denkt unwillkürlich an das Bild des Künstlers, wie es Thomas Mann in seinem „Tonio Kröger“ gezeichnet hat. Und selbst einer, der über dreißig Jahre vor allem dem Kunsterzieher am Schyren-Gymnasium als Kollegen fast täglich begegnet ist, sah in ihm den schöpferischen Menschen noch vor dem Lehrer. Denn für Reiner Schlamp ist die Kunst das Leben und das Leben in der Schule war für ihn ein Dienst an der Kunst. Seine berufliche Tätigkeit liegt lange zurück. Sein künstlerisches Selbstverständnis aber hat bei dem nunmehr 80-Jährigen, den die Stadt in Zusammenarbeit mit dem Neuen Kunstverein mit einer Doppelausstellung unter dem Rahmenthema „Innen und Außen“ geehrt hat, an Ausdruckskraft nicht das Geringste verloren.
In jungen Jahren schon
eine Neigung zum Theater
Mit 15 Jahren hat er seine ersten Zeichnungen gefertigt, die sein Talent erkennen ließen. Nach 65 Jahren künstlerischen Schaffens war sein inneres Engagement bei der Vernissage in der Kulturhalle und im Haus der Begegnung Ende September spürbar wie eh und je. Getragen wird es von seiner humanistischen Grundhaltung, die ihm die Kraft gab, dass er heute auf ein außerordentlich umfangreiches Lebenswerk zurückblicken kann. Seine Erziehung und Ausbildung bei den Benediktinern in Schäftlarn und am exponierten Max-Gymnasium in München, an dem er das Abitur ablegte, haben die Richtung seines Wegs hin zum Künstlertum gewiesen. Sein Studium an der Akademie der bildenden Künste in München bei namhaften Lehrern wie Anton Marxmüller (Malerei) und Josef Henselmann (Bildhauerei) sowie Adolf Thiermann (Radierung) und Herbert Kern (Siebdruck) hat ihm sein breit gefächertes Wissen und sein vielfältiges technisches Rüstzeug vermittelt.
In ganz jungen Jahren wurde auch schon seine Neigung zum Theater transparent, als er das „Puppenspiel vom Dr. Faust“ mehrfach aufführte. Bereits in dieser Zeit, in der Jugendliche eher dem Sport zugetan sind, genoss er eine Ausbildung am Münchener Marionettentheater, an dem er über zehn Jahre tätig war.
Seine reiche Erfahrung im Figurenbau, in der Szenenbildgestaltung und in der Regie diese Genres bereicherte neben seiner unterrichtlichen Verpflichtung beinahe vier Jahrzehnte das kulturelle Leben an der Schule, zunächst 6 Jahre am Hans-Sachs-Gymnasium in Nürnberg und dann ab 1969 vor allem am Schyren-Gymnasium in Pfaffenhofen. Nach der Gründung seiner Figurentheatergruppen „Spielbude eins“ und „Spielbude zwei“ brachte er hier zusammen mit seinen Schülern mehr als 50 Inszenierungen über die Bühne, die über die Grenzen Bayerns hinaus Beachtung fanden und hohe Auszeichnungen erhielten. An den Universitäten Eichstätt und München sowie an der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen und durch eine Reihe von Veröffentlichungen über das Puppentheater vermittelte er sein profundes Wissen weiter. Seine Erfahrung mit der „kleinen Bühne“ wusste er mit seinem absoluten Blick für räumliche Dimensionen auch auf das Personentheater zu übertragen.
Ein für viele unvergessenes Kunstwerk schuf er bei der allegorischen Umsetzung des augustinschen Weltbilds für die Aufführung des „Innsbrucker Osterspiels“ (Regie: Hellmuth Inderwies), das 1977 am Schyren-Gymnasium den Auftakt des Theaterspiels im neuen Schulgebäude bildete. Bereits 1970 gründete er die Künstlergruppe „Kunstkreis Pfaffenhofen“, die bereits in dieser Zeit im „Haus der Begegnung“ Ausstellungen mit einer Dauer von vierzehn Tagen durchführte. Die Galerie war noch nicht vorhanden. Reiner Schlamp erinnerte jetzt bei der Vernissage an Namen, die damals mit ihm zusammen das kulturelle Leben Pfaffenhofens bereicherten: Sigi Braun, Martin Freyer, Herbert Klee, Josef Kroha, Eduard Luckhaus, Johannes Rauch, Michael P. Weingartner. 1996 gehörte er zu den Gründern der Künstlergemeinschaft „Gruppe Luni“, später zu denen eines „Kunstgremiums Pfaffenhofen“, ohne das es heute keine „Städtische Galerie“ im „Haus der Begegnung“ geben würde.
Er selbst ist ein Künstler des sicheren Auges und der zuverlässigen visuellen Erinnerung. Was optisch aufgenommen wird, kann nicht so belassen werden, wie es ist. Es bedarf der Gestaltung und Interpretation. Und eben das war auch die Grundintention der Ausstellung „Innen und Außen“. Es gilt in der bildlichen Darstellung eine Antwort zu finden auf den visuellen Anreiz der Bilder unserer Welt, einmal mehr spontan, das andere Mal mehr reflektierend, mit einer schnellen Skizze oder auch mit einem umfangreichen Zyklus von Arbeiten (z. B. seine Italienbilder: Malerei, Radierung), um dem Wesen des Gesehenen mit dem Kontext eigenen Wissens und eigener Erfahrung ein wenig auf die Spur zu kommen. Er liebt den Gegenstand, den er mit Mitteln der Kunst besser verstehen will, die Umstände unseres Lebens, auf die er sich einlässt. Das kommt bei ihm auch durch das figürliche Kunstwerk zum Ausdruck. Etwas vom Schönsten, was Pfaffenhofen in diesem Genre zu bieten hat, ist seine Plastik „Stelzengänger“ vor dem Eingang der Mittelschule am Kapellenweg. Was bei vordergründiger Betrachtung verborgen bleibt, gilt es transparent zu machen und zu erschließen, um eine neue Sicht zu schaffen, ohne den Anspruch, dass damit der Weisheit letzter Schluss gefunden sei.
Dazu dienen in seiner Malerei oft eine sehr intensive Farbgebung und ein betontes schwungvolles lineares Profil. Reiner Schlamps künstlerisches Schaffen ist eine unablässige kontinuierliche Suche nach einer allgemeingültigen Antwort, nach einem tragfähigen Ergebnis. Dafür ist die Reduktion der von ihm aufgenommenen Vielfalt der Beweis. Das Besondere muss kenntlich gemacht werden. Stilmittel des Theaters scheinen durch, Szenisches tut sich auf. Deshalb ist die Distanz zu einer rein naturalistischen Darstellungsform, die den Betrachter eher verwirrt, unabdingbar notwendig. Ansonsten ist er kein Verfechter eines bestimmten Stils oder einer festgelegten Gestaltung, auch wenn seine Arbeiten sehr expressive Wesenszüge besitzen. Er ist ein Künstler der konzentrierten Aussage ohne Rechthaberei. Er entspricht dem, was Thomas Mann an anderer Stelle seines „Tonio Kröger“ zum Ausdruck bringt: „Wir Künstler verachten niemand gründlicher als den Dilettanten.“
Gefälliges Kompendium
zu Künstler und Werk
Auf Grund der Vielzahl der Exponate war es wohl notwendig, zwei Ausstellungsräume, nämlich Kulturhalle und Haus der Begegnung zu wählen, wobei die Italienbilder eine Abteilung bildeten und sonst lediglich die Jahre der Entstehung der Kunstwerke eine Art von Differenzierung andeuteten. Was allerdings weder dem Künstler noch seinem Werk gerecht wird, war das Rahmenthema der Ausstellung: „Innen und Außen“. Eine Erklärung dafür lieferten weder die einführenden Worte bei der Vernissage noch der Prolog in dem sonst durchaus gefälligen Kompendium zu Künstler und Werk. Reiner Schlamp lässt sich nicht schematisch in solche Kategorien aufteilen, weil sein Schaffen ausschließlich ein Schaffen „von Innen her“ ist. Sein künstlerischer Impuls, auch geprägt von seiner humanistischen Erziehung und Bildung, ist vielmehr, wie bei einem Gedicht, wie überhaupt bei den Ursprüngen der Kunst, ausschließlich ein Urbild der Seele.
von Hellmuth Inderwies