von Hellmuth Inderwies
Lange bevor der Philosoph und Pädagoge Georg Picht im Jahre 1964 die „deutsche Bildungskatastrophe“ als nationalen Notstand ausrief, hatte Dr. Hans Eisenmann, Landrat des Kreises Pfaffenhofen, den damaligen bayerischen Kultusminister Prof. Dr. Theodor Maunz um eine Stellungnahme gebeten, ob man die hiesige Mittelschule (jetzige Realschule) nicht in eine höhere Lehranstalt umwandeln könne. Als das Ministerium im Antwortschreiben vom 01.04.1959 empfahl, zusätzlich zu dieser erst 1950 gegründeten Bildungseinrichtung ein Gymnasium anzusiedeln, waren Teile der Bevölkerung durchaus im Zweifel, ob man dies nicht für einen Aprilscherz halten solle. Denn in jener Zeit galten Landstädte wie Pfaffenhofen mit seinen nicht einmal 8000 Einwohnern keineswegs als potentielle Standorte für höhere Schulen. Und schließlich befand sich ja das Klostergymnasium Scheyern in unmittelbarer Nähe.
An diesem 1. April wurde jedoch in der Tat bei der Entwicklung Pfaffenhofens zu einer echten Schulstadt ein weiterer entscheidender Schritt vollzogen, nachdem man bereits über Volks- und Landwirtschaftsschule und eine Berufsschule mit langer Tradition verfügte (s. Willihard Kolbinger, Geschichte der Berufsschule Pfaffenhofen, Teil I /II, 2009/2011!). Im bayerischen Schulentwicklungsplan von 1962, mit dem unter dem Motto „Expansion und Chancengleichheit“ die sog. „Bildungsoffensive“ gestartet wurde, hatte die Regierung des Ministerpräsidenten und „Landesvaters“ Alfons Goppel die Errichtung von Gymnasien in ländlichen Regionen als vordringliche Aufgabe eingestuft. Die Kreisstadt gehörte auf Grund der Initiative ihres Landrats und späteren Landwirtschaftsministers zu den ersten sechs Orten im Freistaat, in denen dieses Vorhaben verwirklicht wurde. Als Trägerschaft, Standortfrage und Schultypus vor Ort geklärt waren, erteilte das Kulturministerium am 23.04.1964 die Genehmigung zur Errichtung eines staatlichen „Realgymnasiums für Knaben und Mädchen“ mit der damals hierzulande noch außerordentlich fortschrittlichen Maßgabe einer gemeinsamen Erziehung der Geschlechter. Denn erst in dieser Zeit legte man in Bayern Argwohn und Bedenken gegenüber der schulischen Koedukation so allmählich ab. Als nach langwierigen Diskussionen schließlich auch noch die Sprachenfolge „Englisch – Latein – Französisch“ festgelegt war, konnte im Herbst der Unterrichtsbetrieb aufgenommen werden. 60 Schüler hatten sich zuvor der damals obligatorischen Aufnahmeprüfung unterzogen, 54 hatte man für „befähigt“ erklärt. Sie bildeten die zwei Anfangsklassen, die am 09.09.1964 ihren ersten gymnasialen Schultag erlebten.
Zusammen mit ihnen fand der vor kurzem im Alter von 91 Jahren verstorbene Gründungsdirektor Fritz Ustrich zusammen mit seinen Schülern und Lehrkräften zunächst im Gebäude der Berufsschule am Schleiferberg eine Unterkunft. Die Lehrkräfte entlieh man mit Ausnahme von Josef Futschik, den das Kultusministerium anfangs Dezember neben dem Schulleiter als zweite hauptamtliche Lehrkraft hierher versetzte, aus den Nachbarschulen. Im Sekretariat übernahm Ingeborg Beischl das Kommando und zum ers-ten Schülersprecher wurde der jetzige Stadt- und Kreisrat Reinhard Haiplik gewählt. Zwischenzeitlich liefen die Planungsarbeiten für das zu errichtende Schulgebäude (heute: „Georg-Hipp-Realschule“) auf den bereits erworbenen Grundstücken an der Scheyerer Straße, den früheren Eisweihern der hiesigen Brauereien, auf Hochtouren. Auf 8,4 Mill. DM belief sich der Kostenvoranschlag für das ganze Projekt. Letztendlich kostete es trotz großzügiger Ausstattung mit Freisportanlagen und Hallenbad eine Million weniger, was bei öffentlichen Baumaßnahmen zumindest heute nicht mehr als Regelfall anzusehen ist. Am 17.07.1968 konnte man die Schule nach nur zweijähriger Bauzeit beziehen.
Zu Beginn des darauffolgenden Schuljahres, als der Aufbau des jungen Gymnasiums gerade bis zur 9. Jahrgangsstufe erfolgt war, unterrichteten bereits 26 hauptamtliche Lehrer 486 Schüler in 16 Klassen.
Bei diesem anfänglich nicht zu erwartenden Wachstum und bei weiterer gleichbleibender Entwicklung war schon zu diesem Zeitpunkt abzusehen, dass der großzügige Neubau bald nicht mehr den räumlichen Erfordernissen entsprechen werde. Denn zudem hatte das Kloster -Scheyern im August 1968 die Übernahme seines humanistischen Gymnasiums mit etwa 200 Schülern durch den bayerischen Staat und die Eingliederung in das Gymnasium in Pfaffenhofen beantragt. Das Direktorat rechnete nach völligem Ausbau der Schule mit über tausend Schülern in 35 Klassen. Für allenfalls 750 war der Neubau konzipiert. Dieser Blick in die Zukunft war bereits ein Thema bei den umfangreichen Einweihungsfeiern des Gebäudes, bei denen u. a. der damalige Religionslehrer Dr. Konrad Lachermayr mit Franz Graf von Poccis „Zaubergeige“ den Auftakt für das auch in der Zukunft sehr erfolgreiche Schulspiel bestritt.
Der Festakt, bei dem Dr. Hans Eisenmann, der „Vater des Gymnasiums“, den bayerischen Staatssekretär Erwin Lauerbach aus dem Kultusminis-terium, den Regierungspräsidenten von Oberbayern, Dr. Adam Deinlein, und Staatsminister a. D., Theodor Maunz, an der Spitze einer Vielzahl von Ehrengästen begrüßen konnte, fand am 20.02.1969 statt. Abt Dr. -Johannes Höck vom Kloster Scheyern, der zusammen mit dem evangelischen Dekan Karl Heun aus Ingolstadt die Weihe des Gebäudes vornahm, ging in seinen Begleitworten auch auf jene Strömungen des Zeitgeistes ein, die bereits in den Hexametern des Prologs zu diesem Festakt zum Ausdruck kamen:
Jedwedes Schauspiel hat seinen Prolog –
Pfaffenhofen hat heute sein Schauspiel
Uns steht die Weihe des Hauses bevor, die wir sehnlichst erwartet
Seit jener Zeit, da der Ilmkreis sein eignes Gymnasium erworben.
Glanz und besondere Ehre verheißt dieser Tag unsrer Heimat,
Die schon seit frühester Zeit der Kultur und der Bildung verhaftet.
Hier, wo der Hopfen und Korn auf den Feldern so prächtig gedeihen,
Hier, wo die Wiegstatt des Wittelsbacher Geschlechtes gestanden,
Hier, wo die Mönche von Scheyern beharrliche Arbeit geleistet,
Künden die sichtbaren Zeichen Geschichte des bayrischen Landes.
Pfaffenhofen nennt heut sich Gymnasium!
Aber es gelten auch uns noch, wie sehr es bisweilen verleugnet,
Alte Motive Vergils, der zum Vater des Abendlands wurde.
„Omnia vincit amor!“ So erkennt er das Wesen der Hirten.
Wusste nicht er schon vom Sex, der in unseren Tagen so wichtig?
Doch er meint mehr! Er verherrlicht den Eifer der Hirten.
Schafft denn allein schon ein Bauwerk aus bloßem Gestein eine Schule?
Nein! Denn sie lebt aus den Schülern und Lehrern, die hier sich versammeln,
Lebt aus der Suche nach Neuem, die geistigen Fortschritt bewirket,
Lebt aus dem Ansporn der Neugier, die menschliche Landschaft gestaltet,
Lebt aus dynamischen Menschen, nicht statischen Wissensvertretern.
Besseres kündet der Dichter noch dem, der Treffliches leistet:
„Labor omnia vincit improbus!“ So lautet sein Leitspruch.
Alles besieget der Mensch, der im Schweiße des Angesichts schaffet!
Mühe und Arbeit war nötig, bis dieses Gebäude entstanden.
Perlte doch oft von des Landrats gefalteter Stirne der Schweiß,
Eh manche Skepsis der besser Beratenen gänzlich verstummte,
Eh an den Ufern des Gerolsbachs trefflich geschichtet die Steine.
Mühe und Arbeit war nötig, nachdem der Direktor der Schule
München verlassen, um hier Offensive in Bildung zu starten.
Seht doch! Die Zeit kennt die andere Mühe, vergeudet aus Einfalt!
Wähnen nicht auch die Studenten den Worten des Dichters zu folgen,
Sie, die so mühevoll wälzen die schmutzigen Steine der Straße,
Sysiphos gleich, den die Götter belächeln ob zielloser Arbeit?
Seht doch! Protest, Rebellieren, Revolte! – Es sind nur Parolen,
Stiften nur Wirrwarr, zerstören die Ordnung, erbauliches Schaffen.
In diese Saat des verderblichen Sturms spricht ein Letztes der Dichter:
„Cede deo!“ Einem Gott musst du folgen, so wahrest du Freiheit!
Beuge dich nicht dem verlockenden, zwingenden Beispiel der Masse!
Schreie nicht mit, ob du Schüler, ob Lehrer! Die Schule braucht Ruhe!
Klug ist es nämlich, sich raten zu lassen und selbst zu beraten!