Messerscharf am Piratenhals

von Lorenz Trapp

Dass er sein Domizil direkt neben dem Rathaus gefunden hat, passt wie die scharfe Klinge an die Kehle. Denn war nicht der Barbier – in Zeiten, in denen sich die Herren der Schöpfung noch gern unters Messer des Baders begaben – auch so etwas wie ein Beichtvater, der sich die großen und kleinen Nöte seiner Kunden anhörte? Und wer hätte Buße und Läuterung – in diesen Zeiten – nötiger als die Damen und Herren Räte aus dem gleichnamigen Hause?
„Der Barbier“, so nennt Jeanette Kelbsch-Kaiser, blond wie die Fee aus dem Märchen, ihren Salon, in dem natürlich nicht nur wilde und bärtige Kerle willkommen sind, die sich, wie Piraten vor dem Kielholen, die Augen mit einem roten Tuch verbinden lassen, um die Angst vor dem Messer in der Hand der Frau nicht zu sehen, eine Methode übrigens, die nicht sinnvoller ist als im Wald die Angst vorm Räuber zu verpfeifen.

Willkommen beim „Barbier“ sind natürlich die Damen der Schöpfung, und ebenso wie für die Damen, die im hellen, großzügig gestalteten Salon einen eigenen, für private Frauengespräche geeigneten Bereich haben, gibt’s auch für Kinder einen entsprechenden Raum. Das hat sie in Paris gelernt, die Kunst des Séparées: „Unten für die Herren, oben für die Damen, daneben für die Kinder – die Themen sind ja doch spezifisch!“
Jeanette Kelbsch-Kaiser ist Friseurmeisterin. Lange arbeitete sie als Angestellte, doch nun erfüllt sie sich den Traum von der Selbstständigkeit: „Jetzt kann ich meine Vorstellungen so verwirklichen, wie ich möchte!“ Anregungen holte sie sich auf ihren Reisen, die sie um die ganze Welt führten. „Es war immer eine Mischung aus Urlaub und Erfahrungen, und als Mädchen, das vom Dorf kommt, will man eben gerne in die Welt hinaus“, sagt sie.

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In New York, wie sollte es anders sein, steckte sie ihre Nase in den „Barber Shop“, wo nur Männern Bart und Haare geschnitten werden: „Die Atmosphäre dort ist beeindruckend“, erzählt sie, „die Männer sitzen in einer Reihe, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, unterhalten sich zwanglos über die Dinge des Alltags, bevor es wieder raus geht ins Arbeitsleben“. Das familiäre Gefühl imponierte ihr, und hier in ihrem Salon lässt sie ein Stück davon wieder lebendig werden. Gerade die lockere Konversation lernte sie auch in Hongkong kennen, und dort begeisterte sie sich für die Art, in der die Herren dort verwöhnt werden: „Der eine rasiert, der andere massiert die Beine und ein dritter massiert den Rücken!“ Der Herr werde praktisch verwöhnt von den Haar- bis zu den Zehenspitzen, eine asiatische Eigenheit, die sich selbstredend nicht auf europäische Verhältnisse eins zu eins übertragen lässt: „Doch von daher kommt wohl, dass Männer bei mir zur Rasur auch eine Gesichtsmassage bekommen!“

Auf ihren Reisen reifte die Idee, diesen Gedanken des Wohlfühlens in ihrem eigenen Salon, auf ihre ganz eigene Art und Weise zu verwirklichen. „Ich habe mir von allem das Beste herausgezogen“, und wer sich bei ihr einmal unters Messer begeben hat, weiß, wie wohltuend eine Rasur mit dem scharfen Messer ist: erst mit dem Strich, dann gegen den Strich – spätestens hier schließen sich unwillkürlich und wehrlos die Augen des Mannes von selbst –, und dann kommt der finale Clou: Jeanette Kelbsch-Kaiser legt – eine Inspiration aus Kairo! – einen speziellen Puder auf, der die Haut beruhigt – und anschließend den Herrn mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht in den harten Alltag entlässt!

Aus der Türkei brachte sie das „Sugaring“ mit, jene sanfte Methode der pflegenden Ganzkörperhaarentfernung, und ihre beiden Mitarbeiterinnen Eva Ott und Nina Treffler bilden sich laufend in allen Sparten der Kosmetik fort. Und Herren, die bisher glaubten, Kosmetik sei die Lehre vom Kosmos des Weibes, werden beim „Barbier“ eines Besseren belehrt. Denn außer den Verlockungen von neuesten Trendfrisuren für Sie und Ihn, von Rasur und Haarentfernung bieten die drei Damen im Salon auch Kosmetisches nicht nur für die Dame – und weil speziell der Herr dabei ja lieber nicht gesehen werden möchte, findet die Behandlung im Kosmetikraum statt: spezielle Gesichtsmassagen mit feinen Ölen und eine Paraffinmaske für die „geplagte Herrenhand“ sind nur Beispiele für all das, was der Mann von Welt sich Gutes angedeihen lassen kann.

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Limetten-Öl, Wasserlilien-Öl, Weintrauben-Öl – schon die Namen versprechen einen Hauch von Luxus, einen Hauch, der den Vorteil hat, dass er jeden Tag genießbar ist, wenn man den Schritt wagt zu den drei Damen vom „Barbier“. Und auch wenn wir immer noch vor Angst schlottern ob der scharfen Klinge, in zarter Frauenhand und doch so nah am Hals, pfeifen wir es laut und deutlich: Wir befinden uns in einem Friseur-Salon, Haare schneiden, Trendfrisuren, Kosmetik und Rasur, alles ganz normal! Wer wird denn da Angst haben?