Draußen blühen Blumen und Kräuter, neugierig werfen ein paar Spaziergänger einen Blick über den Zaun, der alte Mauerturm strahlt Ruhe aus. Mit Marie-Alice Schultz bezog bereits der vierte Lutz-Stipendiat die Räume im historischen Stadtturm am Platzl. Die gebürtige Hamburgerin wird die drei Monate bis Ende Juli in Pfaffenhofen nutzen, um an ihrem ersten Roman „Mikadowälder“ weiter zu arbeiten und ihn möglichst auch fertig zu stellen. Die junge Autorin konnte sich gegen knapp 60 weitere Bewerber durchsetzen und reiste im April nach Pfaffenhofen. Sie kannte die Stadt vorher noch gar nicht, fühlte sich aber sofort wohl.
Marie-Alice Schultz wuchs in Hamburg auf, wo sie auch Abitur machte. Danach studierte sie in Berlin Germanistik und Theaterwissenschaft. Anschließend ging sie nach Wien, um angewandte und bildende Kunst zu studieren, dort schloss sie 2010 mit dem Diplom ab. Sie erhielt 2011 das Autorenstipendium der Stadt Wien.
Seither sieht sie sich an der Schnittstelle von Kunst und Literatur, versucht in verschiedenen Projekten beides zu verbinden. Sie mag den Kontrast zwischen dem kühlen Hamburg und dem pulsierenden, leicht melancholischen Wien. Gerade an Wien hängt sie sehr, sie ist regelmäßig dort, besucht Freunde und taucht in die Kunstszene ein. „Ich habe österreichische Wurzeln“, erzählt sie lachend, ihre Oma stammte aus Österreich. Pfaffenhofen kannte Marie-Alice Schultz vor ihrer Anreise noch nicht, sie informierte sich online über die Stadt und den Flaschlturm und war sofort begeistert: Die besondere Architektur des historischen Turms, der kleine Kräutergarten und die Ruhe gefallen ihr. Im Vergleich zu Hamburg findet sie die Menschen hier direkter, die Stadt hatte sie sich noch kleiner und idyllischer vorgestellt. An den Namensgeber des Stipendiums, an Joseph-Maria Lutz nähert sie sich vorsichtig an, betrachtet dessen Bilder im Flaschlturm mit neugieriger Ehrfucht. Seine Bücher stehen bereit, auch wenn Lutz nie im Turm wohnte, es aber immer gerne wollte.
Stille und Abgeschiedenheit im historischen Turm
Oben im großen Zimmer des Turms steht ein raumfüllender Tisch für die Stipendiaten bereit. Hier kann man sich ausbreiten, denken, recherchieren, schreiben, diskutieren. Marie-Alice Schultz genießt die Freiheit, hier zu schreiben, „eine wahnsinnige Gelegenheit“, betont sie begeistert. Einsam fühlt sie sich dennoch nicht. Sie wurde von Anfang an eingebunden, war schon in der Künstlerwerkstatt, wird sich kulturell noch viel anschauen. Freunde kamen schon zu Besuch, immerhin ist die Anreise von Wien aus nicht so weit, wo sie noch viele Kontakte hat. Wenn es ihr zu ruhig wird, geht sie in ein Café an den Hauptplatz, besucht Vernissagen und Veranstaltungen. Den letzten Sommer verbrachte die Autorin in einem winzigen französischen Dorf, aus dem ihr Großvater stammte – sie nutzt gerne die Abgeschiedenheit zum Schreiben.
Marie-Alice Schultz hat schon zur „Brezenrunde“ in der Kreisbücherei gelesen, die sie auch weiterhin freudig aufsucht. Sie wird sich außerdem an der Nacht der Kunst beteiligen und zum Abschluss ihres Stipendiums einen Text im Rathaussaal lesen. Vorab verrät sie bereits, dass es hier wohl von einer persönlichen Ansicht einer verstorbenen Pfaffenhofenerin und deren Nachlass ausgehen wird.
In der beschaulichen Umgebung kann die Autorin konzentriert arbeiten. Von ihrem Roman „Mikadowälder“ hat sie rund hundert Seiten verfasst, er soll hier möglichst fertig gestellt werden. Begonnen hat sie damit letzten Sommer, „und ein Jahr reicht dann auch“, findet sie. Es geht um einen Zehnjährigen, um Holzkisten, darin gelagerte Luft. „Mich interessieren eher die schrägen Charaktere, die abseitigen, nicht so sehr die Sieger“, beschreibt sie das Thema.
Hier schließt sich zudem der Kreis zur bildenden Kunst, die Kisten im Roman lassen sich räumlich darstellen, werden zur Installation. Sie liest natürlich selber gerne, darunter besonders Arno Geiger oder Jenny Erpenbeck oder die auf französisch verfasste Lyrik von Mahmoud Darwish.
Nach dem dreimonatigen Stipendium in Pfaffenhofen wird sich gleich ein Projekt in NRW anschließen, nach Hamburg kehrt Marie-Alice Schultz erst im November zurück. Sie lebt inzwischen weitgehend von ihrer Kunst und Literatur, auch wenn es noch nicht leicht für sie ist. Daher wird sie sich weiter bewerben für Projekte und Stipendium, um sich einen Namen zu machen. Sie hält zusätzlich gelegentlich Vertretungsunterricht in Kunst an Schulen, schreibt bei einer Literaturzeitschrift mit. Marie-Alice Schultz ist die erste Stipendiatin nach Matthias Jügler, Marko Dinic und Johann Reißer. Sie wird wieder einen ganz eigenen Text für die Stadt hinterlassen, auf den sich die Pfaffenhofener schon jetzt freuen dürfen.
Abschlusslesung: 29.7.2017, 20 Uhr, Festsaal des Rathauses
(Text von Claudia Erdenreich)