Klar Schiff zum Wahlkampf

Wie schwankende Kähne auf stürmischer See bewegen sich die Wahlprognosen für das Abschneiden der Piraten-Partei bei der Bundestagswahl. Gleiches gilt auch für die Hochrechnungen, die über den Einzug der jungen und bunten Partei in den Bayerischen Landtag spekulieren. Am 15. September aber, Wahltag im Freistaat, wird sich definitiv herausstellen, ob das Piraten-Schiff im Hafen der etablierten bayerischen Politik und damit im fünften deutschen Länderparlament seinen Anker werfen darf. Beste Voraussetzungen dafür schuf im Juni der Bundesparteitag der Piraten im oberpfälzischen Neumarkt, auf dem sie den Vorwurf entkräfteten, sie hätten kein Parteiprogramm: Beschlossen wurden klare Positionen zu Kernthemen wie Netzpolitik, Bürgerrechte im Internet und Urheberrecht, aber auch zur Sozial-, Gesundheits- und Außenpolitik. Unter anderem einigten sich die Piraten darauf, dass bis zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden soll.

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Im Stimmkreis Pfaffenhofen zieht Stefan Gröller als Landtagskandidat der Piraten in den Wahlkampf. Der 34-jährige Kfz-Mechaniker beweist, dass Piraten auch bodenständig sind: Er baut gerade ein Haus – und hatte (in Niederscheyern) schon mit Hochwasserschäden zu kämpfen. Lorenz Trapp hat den jungen Politiker besucht.

Herr Gröller, Piraten am Horn von Afrika, das ja – doch Piraten an der Ilm?
Es gibt sogar eingeborene! Ich bin noch im alten Krankenhaus an der Ingolstädter Straße geboren, war hier in der Schule und habe in einem lokalen Autohaus meine Ausbildung absolviert. Nun arbeite ich seit 13 Jahren bei Audi, zur Zeit gerade in der Nachtschicht, noch bis April nächsten Jahres, dann ist der Zwei-Jahres-Turnus vorbei – außer ich ziehe in den Landtag ein!

Ist Optimismus eine spezielle Piraten-Eigenschaft?
Ohne Optimismus bräuchte ich gar nicht anzutreten und Pessimismus führt zu nichts. Ich will ja was ändern. Mein politisches Interesse wurde vor 15 Jahren geweckt, als in Bayern – 1998! – die Todesstrafe per Volksentscheid formal abgeschafft wurde und die Hartz-IV-Gesetze zu greifen begannen. Dann brauchte es eine Zeit der Orientierung, bis ich erkannte, dass die Piraten die einzige Partei sind, die sich für Bürgerrechte, Freiheit und fürs Grundgesetz einsetzt – was auch nötig ist: Das Grundgesetz wird ja immer dünner, weil ständig daran herumgeschraubt wird. Man sieht’s am Bestandsdatenschutz: Gemeinden durften teilweise Daten verkaufen, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt können nur bei Verdacht Daten anfordern, und was momentan in Bezug auf Datenschutz, auch weltweit, abgeht, gefährdet die Privatsphäre des Einzelnen immens. Als Pirat sage ich dazu: Primär dient dies einer Panikmache vor Terrorismus, und eigentlich sollte ja der Bürger den Staat überwachen, nicht umgekehrt.

Wie waren Ihre Eindrücke auf dem Parteitag der Piraten in Neumarkt?
Mir war sehr wichtig, dass ein klares Statement zum Mindestlohn abgegeben wurde, das sich mit meiner Forderung von 10 Euro im Prinzip deckt. Ein zweites wichtiges Thema ist die Umweltpolitik: Hier machte meine Partei Nägel mit Köpfen, mit denen man in den Wahlkampf ziehen kann. Auch persönlich stelle ich immer wieder fest, dass jeder zwar für umweltfreundliche Energie ist, doch keiner will’s vor der Haustür haben, wenn irgendwo ein Windrad aufgestellt wird. Wir brauchen tatsächlich ein grundsätzliches Umdenken: Die schlimme Seite an der aktuellen Umweltpolitik liegt ja darin, dass wir alles zentralisieren. Vielleicht wäre ein winziger Schritt in Richtung Selbstversorgung besser; Windkraftstrom von der Nordsee hat doch einen viel zu langen Weg bis nach Bayern. Oder schauen Sie die aktuellen Fleischskandale an: Sie gibt es, weil Großhändler und Konzerne rund um den Globus, in Bulgarien, Argentinien und sonst wo, Fleisch aufkaufen, dessen Herkunft kaum mehr nachvollzogen werden kann, und es in deutschen Supermärkten anbieten – nur weil wir immer alles billiger haben wollen. Mir persönlich muss es doch lieber sein, wenn ich Fleisch beim einheimischen Metzger kaufen kann. Dieser Massenkonsum erfordert ja einen beträchtlichen Logistikaufwand, und da liegt ganz sicher auch Energiesparpotential.

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Welche Themen brennen im Landkreis auf den Nägeln?
Ganz wichtig ist die Kinderstation an der Ilmtalklinik. Wer ein Mal mit seinem kranken Kind nach Neuburg fahren musste, weiß, welche Belastung das ist. Die aktuelle Auseinandersetzung zu diesem Thema ist für mich allerdings ein Armutszeugnis: Sie geht schon ewig und dreht sich nur ums Geld. Unser Problem scheint ja stets zu sein, dass das Geld im Vordergrund steht und nicht der Mensch. Luft-verschmutzungsrechte dürfen gekauft und verkauft werden, doch aus dem Öffentlichen Personennahverkehr zieht man sich raus, weil er sich nicht rentiert. Apropos Verkehr: Die dritte Startbahn lehnen wir ab. Ich weiß, wie es ist, wenn – wie bei meiner Oma – alle paar Minuten ein Jumbo übers Haus donnert, und das wäre genau das, was Pfaffenhofen nach der Flughafenerweiterung erwartet.

Zurück in den Wahlkampf – wann, wie und wo geht’s los?
Sofort und immer! Nein, Spaß beiseite: Wir haben – im Losverfahren – einen guten Platz für den Infostand auf dem Hauptplatz erhalten. Unser Wahlkampf findet hauptsächlich auf der Straße statt, mit Infoständen und Veranstaltungen über die Landkreisgemeinden verteilt. Und natürlich sind unsere Piraten-Stammtische am Waldspielplatz (montags, 19.30 Uhr, gerade Kalenderwoche) und unsere Arbeitstreffen im Müllerbräu (dienstags, 19.30 Uhr, ungerade Kalenderwoche) für alle Interessierten offen. Wir sind transparent, und wir haben offene Ohren!

Dann bleibt das Privatleben erst mal ein bisschen im Schlaf-Modus?
Nicht ganz! Mein Hund Jessy braucht weiterhin seinen Auslauf, und ich muss aufräumen mit dem Klischee, wir Piraten seien lauter Nerds, Kellerkinder an der Tastatur. Beileibe nicht: Bei uns finden Sie Menschen aus allen Schichten der arbeitenden Bevölkerung. Und dann habe ich noch die Gitarre; ich spiele ein bisschen für den Hausgebrauch, John Lennons „Working Class Hero“ zum Beispiel. Da fällt mir ein: Kann es sein, dass ich unter den Landtagskandidaten der einzige Working Class Hero, der einzige aus der Arbeiterklasse bin?

Also, Arbeiterklasse sagt doch heute wirklich keiner mehr, Herr Gröller!
Stimmt. Es gibt ja auch keine Arbeiterpartei mehr, keine Volkspartei im klassischen Sinne. – Noch nicht!