„Ich korrigiere auch Verkehrsschilder“ Florian Erdle über den ganz normalen Alltag im Rathaus

Er ist leicht zu finden im neuen Rathaus, das nicht viele Pfaffenhofener fröhlich-respektlos „C&A-Rathaus“ nennen. Das Bekleidungshaus darunter ist prägend, die Büros darüber schlicht und funktional, lange Gänge, aber kurze Wege. Florian Erdle sitzt in der Nähe des Bürgermeisters, auch sein Büro ist schmucklos, Anton Bruckner hört man heraus und auch spontan bilden sich kleine Schlangen vor seiner Tür. Er weiß viel, wenn nicht alles, und er beantwortet alles, was er weiß und gefragt wird. „Informiert sein“, benennt er dann auch als wichtige Aufgabe.
„Ich bin universal einsetzbar und auch für fast jeden Unfug offen“, bekennt der Stadtjurist und berufsmäßige Stadtrat Florian Erdle fröhlich, der seine kabarettistischen Neigungen nicht verbirgt.

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Herr Erdle, was macht ein berufsmäßiger Stadtrat denn so?

„In Gemeinden ab 10.000 Einwohnern kann man einen oder mehrere berufsmäßige Stadträte benennen als Bindeglied zwischen Verwaltung und Gremien. In dieser Scharnierfunktion bin ich in Pfaffenhofen direkt dem Bürgermeister zugeordnet, arbeite ihm zu, versuche mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und dabei filternd vieles eher Unwichtige von ihm fern zu halten. Meistens tue ich auch das, was mir aufgetragen ist, zumindest sofern ich dazu komme. Ein berufsmäßiger Stadtrat soll sich nach der Gemeindeordnung durch Sachverstand auszeichnen, deshalb kommt ihm nach dem Gesetz auch nur ein Antragsrecht zu; abstimmen darf er nicht. Also wirke ich, soweit möglich, durch Argumente und die Kraft meiner oberbayerischen Persönlichkeit. Der Antrag, den ich bislang am häufigsten erfolgreich gestellt habe, war nach langer nichtöffentlicher Sitzung ein „Jetzt hör ma aber auf!“

Die Rolle als berufsmäßiger Stadtrat kann man natürlich auch „gemütlicher“ oder zurückhaltender auffassen, aber nachdem das Gremium, das mich gewählt hat, einigermaßen gewusst hat, auf wen es sich da einlässt, gehe ich davon aus, dass in meiner Amtsbezeichnung die ersten beiden Silben noch nicht gestrichen sind. In dieser Aufgabe kann man ab und zu auch Druck von anderen Verwaltungsmitarbeitern nehmen und man sollte sich auch, wenn man schon etwas hervorgehobener positioniert ist, gelegentlich vor andere hinstellen oder unangenehmere Dinge auf sich umleiten; das gehört selbstverständlich dazu. Der Jurist zeichnet viele Vorgänge mit und hat dann auch inhaltlich dafür gerade zu stehen. In besonders rauhen Situationen habe ich „meinen“ Bürgermeistern aber stets versichert, sie könnten sich absolut auf mich verlassen: „Keine Angst, Chef: Wenn von vorne scharf auf uns geschossen wird, ich stehe direkt hinter Ihnen!“

Sie haben noch unter Prechter angefangen, gibt es Unterschiede zur Arbeit mit Bürgermeister Herker?

Hans Prechter und Thomas Herker verfügen beide über eine erfreuliche, dem Deutschen jedoch an sich durchaus unbekannte Eigenschaft, sie sind nämlich stark ironiebegabt. Schon das machte und macht die Zusammenarbeit mit jedem von ihnen zum Vergnügen; darüber hinaus ist früher wie jetzt die Abstimmung einfach, die Wege sind so kurz wie die Listen mit den Aufgaben lang, so dass die Arbeit seit 2007 gleichermaßen abwechslungsreich geblieben ist und nach wie vor Spaß macht. Ein Unterschied für die gesamte Verwaltung ist sicher, dass die zu bewältigende Aufgabenlast u. a. mit der „Agenda 2017“ nicht weniger geworden ist.

Das von Ihnen angesprochene Prechter-Porträt stammt aus dem städtischen Kunstwerkefundus, also dem Rathausspeicher hinten links, und fand außer mir keinen Abnehmer. Selbst der Porträtierte hat eine Übereignung zu einem runden Jubiläum aus ästhetischen Gründen abgelehnt. Ich finde es als temporären Zimmerschmuck allerdings recht gelungen.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?

Da ich arbeitsmäßig an einer Universität sozialisiert wurde, fange ich regelmäßig erst morgens zwischen acht und dreiviertel neun Uhr an, nachdem ich häufig noch meine Tochter (übrigens aus der privaten Zusammenarbeit der ehemaligen Hochbauleiterin und des Stadtjuristen hervorgegangen, und nach meiner Einschätzung somit eines der gelungensten Ergebnisse Pfaffenhofener Verwaltungstätigkeit der letzten Jahre) in die Krippe gebracht habe. Dafür bleibe ich abends länger, um einigermaßen konzentriert zu arbeiten, denn dann klingelt das Telefon nicht mehr ganz so oft. Eigentlich ist jeder Arbeitstag anders, selbst wenn es häufig um das Gleiche geht und ich zumindest in den drei Stockwerken des Verwaltungsgebäudes relativ ortsfest herumspringe. Meine Arbeit besteht zu einem guten Teil aus Koordination. Und ich bringe mich ein, wie schon in der Schule manchmal auch ungefragt. Zudem bin ich häufig interne und externe Auskunftsstelle: wer eine Frage hat, ruft an, egal ob ich zuständig bin – aber da Juristen bekanntlich immer recht haben, kann meine Auskunft eigentlich gar nicht falsch sein. Auch wenn gelegentlich kolportiert wird, ich sei manchmal schwerer zu erreichen als der Papst, erwischt man mich hier im Büro regelmäßig, insbesondere weil ich auch meine Gangtüre unvorsichtigerweise selten verschließe; allerdings besitze ich systemwidrig kein Handy, was zumindest in den Mittagspausen für gewisse Erholungsmomente sorgt.

Sitzungsvorbereitung ist ein nicht unerhebliches Aufgabengebiet, ich koordiniere die Sitzungsvorlagen, denn möglich wenig soll für die Gremien, von denen wir eine ganze Menge haben, unklar bleiben. Ich prüfe Verträge, arbeite hin und wieder Rechtsvorschriften aus und bemühe mich ansonsten, einigermaßen den Überblick über die vielfältige Tätigkeit der Stadt zu behalten. Als ganz einfache Kontrollfrage sollte dienen, ob man selber als Bürger von einer Verwaltung so oder so behandelt werden möchte; oft ist es ja schlichtweg eine Sache der Kommunikation, wie man die Bürger bereits im Vorfeld einer Maßnahme einbindet oder informiert. Rechtsnormen im spezifischen kann man schlicht vollziehen oder sie sinnvoll anwenden. Auch für einen Juristen ist es wichtig, dabei hin und wieder den Kopf einzuschalten und dem Gesetz das zu geben, was es verlangt, und nicht den Gesetzesvollzug als Selbstzweck zu betreiben. Inwieweit die bürgernahe Anwendung ihre Stütze noch im Gesetz findet, ist dabei natürlich die andere Frage. Insofern schadet es gar nicht, wenn ein (berufsmäßiger) Stadtrat die Juristerei auch tatsächlich studiert hat.

„Wenn ich jetzt Unsinn reden will, dann möchte ich bewusst und erkennbar Unsinn reden, das sollte man als Anwalt ja nicht machen“.

Sie haben Jura studiert, war die Laufbahn in der Stadtverwaltung immer klar?

Mein erster Berufswunsch war im zarten Alter von vier Jahren Kanalräumer, danach schwankte ich zwischen Lokomotivführer und Schauspieler, bevor ich schließlich bei der Juristerei hängengeblieben bin. Das ist ein schönes Studium, nach dem einem praktisch jede Tätigkeit offensteht, vom Taxifahrer bis zum Bundeskanzler. Und dass ich schon von früh an die Neigung zum Haarespalten besessen habe, erweist sich dabei als nicht schädlich. Als Sohn eines Ministerialbeamten liegt mir die Verwaltungstätigkeit offensichtlich näher als die „freie Jurisprudenz“. Ein berühmter Strafverteidiger wollte ich zum Beispiel nie werden, wenngleich mir das Vermitteln juristischer Inhalte nicht wenig Freude macht, etwa nach wie vor in einer kleinen Lehrveranstaltung an der alten Münchener Universität. Da ein echter Oberbayer relativ ortsfest ist, finde ich – zwar geboren in der Landeshauptstadt, aber aufgewachsen in der rathausnahen Löwenstraße – die Beschäftigung in der hiesigen Stadtverwaltung als durchaus nicht ehrenrührig.

Gibt es Lieblingsthemen?

Theoretisch ja, praktisch nein. Lieblingsthemen wären solche, mit denen ich mich mehr als eine Stunde ununterbrochen befassen kann, was hier im Büro nicht wirklich häufig vorkommt.

Und privat?

Privat versuche ich erfolgreich, jeden Ausgleichssport zu vermeiden. Die Familie ist natürlich wichtig, zumindest in den wenigen zur Verfügung stehenden Stunden. Ansonsten teile ich meine Interessen zwischen Literatur, klassischer Musik und Filmgeschichte, namentlich Stummfilmen. Sehr gut in die Arbeit integrieren lassen sich zum Beispiel meine Rossini-CDs, Wagner im Büro ist dagegen fast unmöglich – das ist zu ernst und man braucht dafür zu viel Zeit.

Herr Erdle, man sagt, sie korrigieren alles, auch ungefragt. Tun Ihnen Rechtschreibfehler körperlich weh?

Ja! Rechtschreibfehler, Grammatikfehler, das tut alles weh. Sprache ist wichtig, Sprache ist der deutlichste Ausdruck der Person. Wer spricht oder schreibt, hat sich dabei auch Mühe zu geben; das kann von einem sinnvollen Gegenüber erwartet werden. Nicht alle freut das, aber ich korrigiere, was ich sehe, wenn es sein muss, auch Verkehrsschilder – und ich kann nicht einmal etwas dafür, Rechtschreibfehler springen mir von selber ins Auge. Praktischerweise schreibe ich dienstlich in rot, der Korrekturstift ist also immer zur Hand.

… und ein paar letzte Sätze zum Kabarett?

Der Kabarettist Erdle bezieht seine Informationen ausschließlich aus allgemein zugänglichen Quellen; dass er regelmäßig in Stadtratssitzungen aufträte, ist lediglich ein Gerücht. Im Kabarett bin ich mein schärfster Kritiker: ich kritisiere also sogar mich nach meinen eigenen Maßstäben, veröffentliche aber Gottseidank nicht jede negative Rezension.

Interview: Claudia Erdenreich