Geschichte darf nicht verloren gehen“ mit diesen Worten eröffnete Bürgermeister Thomas Herker die Ausstellung „70 Jahre Flucht und Vertreibung“ im Rathaus. Zur Auftaktveranstaltung waren zahlreiche Gäste in den Festsaal des Rathauses gekommen, darunter viele Stadträte und Altbürgermeister Hans Prechter. Unter den interessierten Gästen befanden sich auch noch viele Zeitzeugen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Pfaffenhofen gekommen waren, so etwa die Familie Schurius oder Dr. Geppert. Ebenso waren viele Kinder und Enkel ehemaliger Vertriebener anwesend.
Bevölkerung wuchs um
3000 Bürger in einem Jahr
Thomas Herker stellte klar, dass mindestens jeder Dritte der Anwesenden Wurzeln in einer Familie von Vertriebenen oder Geflüchteten hat. Der Bürgermeister mahnte auch an, aus der Geschichte zu lernen und insbesondere die früher gemachten Fehler nicht zu wiederholen. Er berichtete, wie er selbst erstmals 2008 beim Tag der Heimat Kontakt mit dem Thema und mit Zeitzeugen hatte und von deren Berichten bestürzt, beeindruckt und zu Tränen gerührt war. Auch sein Verhältnis zum Thema hat sich mit dem persönlichen, regionalen Bezug entschieden gewandelt.
„Wir waren in Pfaffenhofen nie im Zentrum der Weltgeschichte“, erklärte er, aber dennoch von allen Ereignissen direkt betroffen. Die Ankunft der zahlreichen Flüchtlinge und Vertriebenen in den Jahren 1945 und 1946 stellt die vermutlich größte Zäsur in der Stadtgeschichte dar seit der Pest. Während der „schwarze Tod“ auch in Pfaffenhofen die Bevölkerungszahl binnen kurzer Zeit drastisch vermindert hatte, passierte nach dem Krieg das Gegenteil. Schon in der zweiten Jahreshälfte 1945 kamen zahlreiche Flüchtlinge an, sie waren meist direkt auf der Flucht vor der Roten Armee. Die meisten Menschen erreichten Pfaffenhofen 1946. Zunächst passierten „wilde Vertreibungen“ in einem weitgehend rechtsfreien Raum. Nach der Potsdamer Konferenz ging dies über in die geordnete Vertreibung, die aber für die Menschen nicht weniger gravierende Eingriffe bedeutete. 50 Kilogramm Gepäck waren alles, was an Besitz mitgenommen werden durfte. Die Flüchtlinge wurden meist sehr kurzfristig und drastisch entwurzelt, konnten nur sehr wenige Dinge mitnehmen, waren lange unterwegs, teils in Viehwaggons und zu Fuß und brauchten ihre Zeit, bis sie auch innerlich angekommen waren. Begleitet wurden sie von dem Gefühl, nicht mehr zurückkehren zu können.
Die Pfaffenhofener Bevölkerung wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in kurzer Zeit von 5.000 auf 8.000 Personen an. Dies bedeutete immense Herausforderungen in Bezug auf Versorgung, Unterbringung, Arbeit und Integration. Die Wohnungsnot war riesig, dürftige Baracken blieben über Jahre die einzige Unterbringungsmöglichkeit. Zudem gab es Einquartierungen, selten wurden die Neuankömmlinge dabei mit offenen Armen empfangen.
Schon ohne Flüchtlinge war die Versorgungslage schwierig, die Bevölkerung litt Mangel und Hunger, beklagte zahlreiche Verluste, wusste nicht, wo Männer und Söhne geblieben waren. Die Neuankömmlinge waren keine homogene Gruppe, rund sechzig Prozent stammte aus dem Sudetenland, der Rest aus Schlesien.
Zum Festakt stellte Stadtarchivar Andreas Sauer sein neues Buch mit dem Titel „entwurzelt – unterwegs – angekommen“ vor, das sich mit dem Thema in der Region, in Stadt und Landkreis Pfaffenhofen befasst. Das Buch stellt eine sehr gelungene Mischung aus historischem Fachbuch, lokaler Lektüre und persönlichen Schicksalen dar.
Historiker Sauer wertete dafür auch akribisch die vorhandenen Quellen aus, darunter insbesondere die Tagebücher von Otto Sturm. Die fünfzig Tagebücher des ehemaligen Lehrers sind ein wichtiges Zeitzeugnis. Ebenso rief Andreas Sauer in Vorbereitung des Buches und der Ausstellung die Bürger auf, ihm noch vorhandene Fotos, Dokumente und Erinnerungsstücke aus der Zeit zur Verfügung zu stellen. Die Ausstellung im Foyer des Rathauses ist mit alten Fotos und erklärenden Texten informativ gestaltet und greift die zentralen Themen des Buches auf.
Flucht und Vertreibung
Geöffnet bis 3.12.
zu den Öffnungszeiten
des Rathauses
von Claudia Erdenreich