Wir Deutschen, und das gilt genauso für uns Bayern, haben es nicht leicht. Wir setzen uns einfach zu gerne zwischen alle Stühle. Niemand weiß, auf welchen genetischen Defekt oder auf welch ausgeprägt archaischen Atavismus dies zurückzuführen sein könnte. Da beißen sich unsere Verhaltensforscher mit ihren hochentwickelten Kiefern noch immer die am Ende der evolutionären Entwicklung liegenden Zähne aus, obwohl die Antwort relativ einfach sein dürfte. Wir wollen uns einfach nicht entscheiden.
Dazu noch stattete uns die Natur, auch so ein unbekanntes Tier, das vom Aussterben bedroht ist, rein statistisch gesehen mit einer Sitzfläche aus, die für das Platznehmen auf mehreren Stühlen gleichzeitig durchaus geeignet wäre. Aber groß genug für alle Stühle ist sie beim bes-ten Willen nicht. Auf gut Bairisch: „Dafür haben wir den A… einfach zu weit unten“, wobei ich „unten“ im übertragenen Sinn, den mittlerweile – als globusübergreifende Cerebral-Infektion – der in eben diese Richtung weisende Facebookdaumen verkörpert, verstanden haben möchte. Um präzise zu sein: Ich mache es mir deshalb so einfach mit diesem pauschalen Urteil, weil ich feststellen muss, dass weniger der Sinn denn das Übertragen eine Rolle spielt – und dann noch mit dem Daumen nach oben! Alles ist gut, alles gefällt.
Auch eine Entscheidung, die sich vor einer Entscheidung drückt – und mindestens so wenig Sinn macht wie der Versuch, sich gleichzeitig auf alle Stühle zu setzen. Wir wollen uns tatsächlich nicht entscheiden. Obwohl: Gerüchteweise höre ich von Menschen, die der Facebookdaumen anmutet wie jener Wurmfortsatz, den wir landläufig Blinddarm nennen. Angeblich sollen einige davon sich auf das Erbmaterial des homo sapiens besonnen haben und ernsthaft eine Operation erwägen. Das evolutionär Revolutionäre daran ist, dass sie nicht den Darm vom Wurmfortsatz, sondern den Daumen von Facebook befreien lassen wollen. „Daumen hoch!“ kann ich da nur sagen, Nägel mit Köpfen, das nenne ich entscheidungsfreudig, da weiß jemand, was man entfernen muss, damit das Wesentliche überlebt. Hoffen wir das Beste.
Denn noch ist es ja nicht so weit. Noch wählen wir uns keinen Stuhl aus, und setzen uns, wie erwähnt, lieber zwischen alles, was uns so unterkommt. Nur ja nichts auswählen, nur ja nicht sagen: „Das find ich gut, Rufezeichen, Punkt!“ Wir mäandern geschmeidig zwischen allen Stühlen, als ginge es um den Stein der Weisen, und klopfen lieber ab: „Das find ich gut, und das find ich gut, und das find ich auch gut, und das auch, und das auch, das auch, und das auch …“ Hätte sich im Jahre 3599 v.Chr. in der Nähe eines Wäldchens namens Hallerthaw, als ein paar homines sapientes gemütlich an der Abensquelle um eine Ladefläche saßen, auf die sie ihre Jagdbeute geworfen hatten, folgende Diskussion entwickelt: „Wir sollten zwei Quadrate an die Ladefläche schrauben – Aber es gibt doch noch so viele andere Figuren, ich bin für die Raute – Ein Dreieck würde auch schön aussehen – Nein, nein, wir nehmen das Trapez“ – das Rad wäre nicht erfunden worden.
Das Rad der Zeit ist die Schäch Fanny. Sie gab den Weisen an der Quelle einen Fünferl-Lutscher und eine Fischsemmel und sagte: „Nehmt den Kreis!“ Seitdem rollen die Räder. Leider greift die Schäch Fanny nicht mehr ins Weltgeschehen ein, muss sich gar ohne einen Mucks die Idee gefallen lassen, ihr ein Denkmal zu setzen. Eine nette Idee übrigens, finde ich, noch dazu, weil sich der Kreisel vor ihrer nicht mehr existierenden Ladentür wunderbar dafür eignet: die Schäch Fanny in Bronze, mittig platziert und gütig in ihr Schaufenster lächelnd, vielleicht einen Lutscher als warnenden Wink in der rechten Hand. Natürlich hätte das Kunstwerk Geld gekostet, aber daran sollte es nicht scheitern. Es scheiterte auch nicht am Kreisverkehr. Es scheiterte, weil wir zu viele Originale haben, die sich an Originale erinnern, die alle auch ein Denkmal verdient hätten, nicht dass der Kikeriki-Mich dann beleidigt wär, oder der Straßenbauer und Bürgermeister Anton Schranz, oder der Sommer Datsch und der Don Alfredo und der Deuter Bart.
Wenn wir das Huhn schlachten, grämt sich der Hahn, schlachten wir den Hahn, grämt sich das Huhn. Was also tun? Keine Entscheidung treffen, Entscheidungen neutralisieren – wir bauen ein Schlachthaus, aber wir schlachten nicht. Wir behalten den Blinddarm und schneiden den Körper weg. Don Alfredo, so viel ist sicher, hätte auf den Sitzungstisch im Rathaussaal geschlagen, und schon stünde – wie von Zauberhand – eine bronzene Fanny Schäch im Kreisel. Wir flüchten uns lieber ins Vage. Den Sockel vom virtuellen Schäch-Fanny-Denkmal können wir ja behalten, da machen wir nichts verkehrt, wir schalten noch ein Lichtlein zu, auf dass auch alles schön beleuchtet sei, und was wir dann drauf stellen – das lassen wir noch offen. Ein Kunstwerk halt. Schließlich brauchen wir auch morgen noch was zu diskutieren: „Das find ich gut, und das find ich gut, und das find ich auch gut, und das auch, und das auch, das auch, und das auch …“ Alle, stellt man dann fest, gehen nicht, die haben ja auch gar nicht alle Platz auf dem Sockel. Wenigstens haben wir schon mal den Sockel, als Fundament quasi einer gesunden Basis für ein Denkmal.
Was sagt die Fanny dazu? Ihr genügt der Sockel. Wenn sie will, kann sie sich drauf stellen, wenn sie nicht will, wird sie wohlwollend beobachten, wer sich drauf stellt. Diejenigen, die sie noch kennenlernen durften, werden sie sowieso immer sehen, im Geiste, wenn sie sich im Kreisel bewegen. Und ihr selbst wäre es sicher nicht recht, auf einem Sockel ausgestellt zu werden wie eine aussterbende Menschenart. Also lasse ich den Kreisel einfach Kreisel sein, die Schäch Fanny die Schäch Fanny und den Kikeriki-Mich den Kikeriki-Mich.
Nicht dass dann noch irgendeiner irgendwann in nicht zu fernen Tagen auf den Gedanken kommt, dem Kreisel ein Denkmal setzen zu müssen, ein kreiselförmiges, in Bronze gegossenes, damit wir nicht vergessen, wie schön so ein Kreisel war – als müssten wir das Rad der Geschichte permanent zurückdrehen und der Gegenwart demonstrativ den Rücken der Unschuld zukehren; als wäre es nicht, einer alten Holledauer Weisheit zufolge, für die Vergangenheit sowieso immer zu spät und für die Zukunft noch zu früh. Wir haben es wirklich nicht leicht im Hier und Jetzt.