von Lorenz Trapp
Wale, so sagt man, sterben aus. Nur noch in den verklärten Visionen einer esoterisch angehauchten Fangemeinde werden sie auch in ferner Zukunft, wenn vor Japans Küste und anderswo die letzten dieser Meeressäuger zu Tode gejagt worden sind, mit ihren Gesängen auf günstig zu erwerbenden Meditations-CDs weiterleben und an einen Zustand der Welt erinnern, den wir bereits jetzt aus den Augen verloren haben. Die Sachzwänge nämlich haben sich großmächtig aufgebaut und versperren die Sicht – unter Umständen auf das Wesentliche. Das hat die Optik schlecht gemacht, stellte Karl Kraus, der große Wiener Feuilletonist und Journalist, schon am Anfang des letzten Jahrhunderts für die Ewigkeit fest und wurde nicht müde, die Fackel hochzuhalten und am Mantel der dummen Sachzwänge zu zerren. Es hat uns nichts genützt.
Wahlen, so sieht man, stehen vor der Tür. Das wiederum hat die Optik gut gemacht, denn nun bekommen wir sie endlich zu Gesicht, die, die verantwortlich zeichnen für das, was in „diesem, unseren Land“ so vor sich geht, und für das, was nach dem 2. März 2008, wenn die Ausgewählten auf den eroberten Stühlen den ihnen zustehenden Platz gefunden haben, vor sich gehen wird. Seit Wochen stehen sie an jeder Ecke, umarmen Laternenpfähle, nicken sich sogar von aneinander gelehnten Plakatständern aus zu, und selbst wenn dieser Nächste ein politischer Gegner sein sollte: Sie lächeln, gewinnend. Gewinnen wollend. Gott sei Dank dafür, dass er nicht in Siegeszügen denkt und deshalb in weiser Voraussicht vor den Sieg den Zug gesetzt hat. Der Versuch, vor den Zug ein Kreuz zu setzen, ist vor 1000 Jahren nicht von großem Erfolg gekrönt worden und sollte uns jetzt zu denken geben, wenn die Kandidaten mit der Kohlenschaufel in der Hand hinter der Lokomotive auf den Tender springen, eine Schippe Dampf machen und mit erhöhter Geschwindigkeit auf die Wahl zu rasen, auf der Suche nach dem verlorenen Kreuz. Dem Kreuz des Wählers.
Nicht mehr zu überhören ist der Ruf zur Wahl nun in der Kreisstadt. Zum Wahlkampfauftakt hatte das Forum Baukultur unter dem Motto „Stadt vor der Wahl“ ins Casino der Sparkasse geladen, und alle sechs Bürgermeisterkandidaten, die am 2. März antreten werden, waren gekommen. Das Interesse bei den Wählern zeigte sich in der Tatsache, dass der Veranstaltungsraum bis auf den letzten Platz besetzt war; der Wähler wollte sich ein Bild machen von seinen Kandidaten. Das konnte er im Casino: Ein schönes Bild, das nur noch der Farbklecks des Manfred Habl hätte verfeinern können. Leider ist er mit seiner Bunten Liste schon im Vorfeld an der Hürde der Unterstützungsunterschriften gescheitert.
Julio Segador, in Pfaffenhofen ansässiger Moderator des Bayerischen Rundfunks, hatte die Aufgabe übernommen, die Phalanx der Kandidaten im Zaum zu halten. Es war keine schwere Aufgabe, denn Hans Prechter (CSU), Thomas Herker (SPD), Albert Gürtner (FW), Monika Schratt (Grüne), Franz Niedermayr (FDP) und Johann Buska (FUW) hatten ihre Plätze auf dem Podium gut vorbereitet eingenommen.
Das Motto „Stadt vor der Wahl“ hat ein Redakteur der Internetzeitung www.hallertau.info durch die nur manchmal langsam mahlende Mühle des Journalismus gedreht und seinen Artikel über die Veranstaltung mit „Wahl vor der Stadt“ überschrieben. „Mindestens mehrere“ Leser haben ihn daraufhin vermeintlich spitzfindig angerufen, um ihn auf seinen Fauxpas hinzuweisen. Wie könne er nur die Reihenfolge verwechseln? Hat er nicht. Er hatte sich einfach was gedacht dabei, und für alle, die die Geschichte nicht kennen, konnte er sich dann den Ausflug ins Reich der Römer nicht ersparen.
„Wahlen ante portas!“
rufen die Warner
Ein gewisser Cicero hatte einige Jahrzehnte vor Christus die Römer in seinen Philippinischen Reden vor dem gefürchteten Machtanspruch des Marcus Antonius gewarnt und sich dazu des Schreckgespenstes Hannibal bedient, das mehr als 100 Jahre zuvor, als es vor den Toren der Stadt auftauchte, den Römern einen gewaltigen Schrecken eingejagte: „Hannibal ad portas!“ Inzwischen hat sich die Äußerung zum zwar grammatisch falschen, aber nicht minder furchteinflößenden geflügelten Wort „Hannibal ante portas“ gemausert, das man spätestens seit dem Film kennen sollte, den der Deutschen liebster Humorist Loriot in Anlehnung an den römischen Politiker und Schriftsteller „Pappa ante portas“ zu nennen beliebte, nur weil ein Vater nicht mehr den ganzen Tag ins Büro ging, sondern vor der eigenen Wohnungstür Einlass begehrte und das eingespielte restliche Familienleben in Unordnung brachte.
Womit wir wieder bei den Wahlen wären: „Wahlen ante portas!“ rufen uns die Warner zu, auf die wir nicht hören wollen, aber so einfach ist nicht zu entscheiden, wer denn nun vor wem Angst hat. Mit dem gefragten Kreuz in der Tasche gehört der Bürger erstmal zur Kategorie der Wahlberechtigten, die sich aufsplitten in die Kategorien „Wähler“ und „Nichtwähler“, und sein Kreuz kann er behalten oder am 2. März vergeben. Kein Grund zur Angst also. Höchstens davor, dass ihn die Kandidaten in ihrer Angst vor Stimmenverlust bzw. -verweigerung zu sehr bedrängen. Man hat schon exzessivere Wahlkämpfe in Pfaffenhofen erlebt, doch eine gewisse Hektik und Nervosität macht sich bei den Kämpfern um den begehrten Sessel im Rathaus nun doch bemerkbar. Die Zeit wird nämlich knapp, aber die Kandidaten zeigen Contenance, wenn sie tapfer ihre Ansichten, ihre Kritik und ihre Visionen unters Wählervolk bringen.
Gelegentliche Ausrutscher wie der von Franz Niedermayr, der auf der Auftaktveranstaltung der FDP zu einem Rundumschlag im politischen Gemüsebeet ausholte und weder Freund noch Feind verschonte, lassen sich dann mit einer Entschuldigung ebenso allgemeinen Ausmaßes leicht aus der Welt schaffen, in der Hoffnung, dass das Gedächtnis des Wählers ein kurzes sei. Tipps in die Vergangenheit helfen natürlich wenig, aber der FDP-Mann hätte einfach im Casino der Sparkasse aufpassen sollen. Da haben ja alle Kandidaten gezeigt, wie es geht, auch wenn man sich ein bisschen auf Hans Prechter eingeschossen hat: Man präsentierte sich im rechten Licht, kritisierte eindrucksvoll abgelaufene Amtszeiten und malte Visionen von zukünftigen Amtszeiten wortreich an die Wand. Viel Heiterkeit im Publikum ernteten pointiert auf den politischen Gegner zielende Statements. Vereinzelte Buhrufe aus dem Publikum konnten den alles in allem harmonischen Veranstaltungsverlauf nicht ins Wanken bringen. Themen in der Kreisstadt bleiben weiterhin Stadthalle und Hallenbad, Südumgehung und Hauptplatzgestaltung, bei der sich „in den nächsten Jahren“ wohl endgültig eine Fußgängerzone abzeichnet – und wenn es nur eine Drittel-Fußgängerzone ist -, die Ausdruck dafür sei, dass sich diesbezüglich die Prioritäten in der Kommunalpolitik vom Autofahrer auf den Fußgänger verlagern, wie Monika Schratt forderte und keinen vehementen Widerspruch erntete. Erste Belebung des Hauptplatzes kündigte jung, aber professionell, Thomas Herker für die noch bleibenden Samstage an: Mit dem „Friedhof der Versäumnisse“ war ja schon ein guter Anfang gemacht. Der Wähler darf gespannt sein. In Einem waren sich an diesem Abend im Casino der Sparkasse alle, Moderator, Kandidaten und Zuschauer, einig: Noch ist Pfaffenhofen nicht verloren.
Schon Goethe scheiterte
am zerbrochenen Krug
In der guten Stube, und die haben die Wähler auf ihrem Wunschzettel in einer Lokalzeitung ganz oben auf die Liste gesetzt, laufen bereits die Bauarbeiten, und der Wähler kann jeden Tag bei einem Ausflug in die City den Fortschritt begutachten. Ein bisschen wie das Pfeifen im Walde, denn außer guten Vorschlägen hat man ja in Bezug auf die Endlösung, wie von den Kandidaten durchgehend gefordert, bisher nur asiatische Granitsteine geklopft, aber noch keine Nägel mit Köpfen gemacht. Außer dem jungen Thomas Herker, dem eine ortsansässige Kabarettistengruppe mit der Frage „Darf der überhaupt so lang aufbleiben?“ die Zugangsberechtigung für unter Umständen lang dauernde Stadtratssitzungen abspricht, sitzen die anderen Bewerber um den Rathaussessel schon Jahre im Rat und haben an den erwähnten Nägeln – hoffentlich fleißig – mitgefeilt. Und wollen den zerbrochenen Krug nun Hans Prechter in die Schuhe schieben. So wie Richter Adam werden sie beim Versuch, andere für das, was sie selbst im Dunkeln angerichtet haben, zur Verantwortung zu ziehen, sang- und klanglos scheitern. Macht nichts. An der Uraufführung von Kleists Lustspiel „Der Zerbrochene Krug“ ist exakt am 2. März 1808 kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe als Regisseur gescheitert.
Damit ist natürlich auch dieses klar: Der Ausgang der Kommunalwahl in Pfaffenhofen hat nichts zu tun mit dem Aussterben der Meeressäuger vor fernen Küsten. Wale, so sagt man, sterben einfach aus. Ihre Gesänge werden erhalten bleiben. Die Wahlgesänge der Kandidaten, so steht zu befürchten, auch.