Charmante Geschenkidee für einen originellen Lieferservice

von Lorenz Trapp

Keiner weiß etwas Genaues. Und wer nichts weiß, das weiß eine österreichische Weisheit, die sogar in Bayern Gültigkeit hat, der muss eben alles glauben. Selbst der Wichtel kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus – als wäre der Zug bereits abgefahren. Mitnichten! Jetzt geht’s erst richtig los. Die „stade Zeit“ ist da und schleicht sich über das Pflaster des Hauptplatzes an.

Hübsche Hütten und das Wichtelhaus verdrängen den Wochenmarkt für ein paar Wochen nach Westen, er darf dem Christkindlmarkt Platz machen. Markt ist Markt; dann muss auch nicht Schluss sein mit marktschreierischem Gehabe. Das Christkindl wurde, fällt mir eben ein, vor mehr als zwei Jahrtausenden im Nahen Osten geboren. Irgendwie scheint mir der Nahe Osten also eine der Wiegen der abendländischen Kultur zu sein, selbst wenn sich dem Ethnologen doch filigrane Unterschiede im Brauchtum offenbaren. Während sich dort Menschen mit kleinen Geschenken in Raketenform beglücken, die – unter völliger Missachtung des Nachhaltigkeitsgebots aus übertriebener Verschwendungssucht oder aus was weiß ich welchen Gründen – beim Überreichen nicht nur sich selbst, sondern auch noch umliegende Gebäude und Menschen zerstören, stiften wir hier in unseren Breiten Freude bei unseren Mitmenschen mit Geschenken in Paket- oder Säckchenform.

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Im schlimmsten Fall – und das wäre wirklich der schlimmste Fall – müssten sie umgetauscht werden. Es besteht zu keiner Zeit eine Explosionsgefahr.

Gemeinsam haben wir und der Nahe Osten, dass die Frage ungeklärt bleibt, woher die Pakete und Säckchen respektive Raketen eigentlich kommen. Der Nahe Osten gilt nun nicht als extraordinärer Raketenproduzent; naja, irgendjemand wird sie ihm schon gebracht haben, auf jeden Fall dürfen sie als charmante Geschenkidee mit originellem Lieferservice gelten. Bei uns ist die ganze Sache durchsichtiger: Sollte ich während der nächsten Wochen, morgens, wenn ich traumtrunken die Zeitung aus dem Kasten hole, ein Paket oder ein Säckchen entdecken, dann weiß ich, dass mir ein lieber Mitmensch mit einem originellen Geschenk eine Freude bereiten will – und ich glaube, nein, ich weiß, dass mir diese Aufmerksamkeit von einem charmanten Lieferservice zugestellt worden ist.

Der Wichtel ist nämlich wieder da. Sein Häuschen hat er bereits aufgebaut, auf dem Pflaster vor dem Rathaus; fröhlich, mit Zipfelmütze und gelbem Schal herausgeputzt, wartet er, bis der Weihnachtszauber endlich beginnt. Dann nimmt er die Geschenke an, die die Menschen in den Geschäften kaufen dürfen und zu ihm hinbringen. Er verpackt sie ordentlich und hängt sie – charmant, charmant – des Nachts und unerkannt, ohne Absender, an die Haustür des vom Schenkenden gewünschten Empfängers. Auch sonst wird auf dem Christkindlmarkt alles beim Bewährten bleiben: Köstliche Leckereien, kulinarische Schmankerl und kunsthandwerkliche Kleinkunst an den Ständen, und beim staunenden Wandeln durch die Budengasse werden Glühweinduft und Glühweindurst immer mächtiger. So soll es sein, und beim letzten Schluck richten wir noch ein sinnendes Mal den Blick auf die Rathausfassade, illuminiert vom einzigartigen, seit einigen Jahren bekannten Lichtkalender.

Seit einigen Jahrtausenden bekannt ist der Maya-Kalender. Obwohl er älter ist als das Christkind und noch viel älter als ein Christkindlmarkt und noch dazu aus Südamerika stammt, glauben viele, dass mit ihm am 21. Dezember 2012 die Welt endet. Für den Nahen Osten befürchte ich, dass einige nicht mal mehr den 21. Dezember erleben werden. Unser Christkindlmarkt endet am 23. Dezember 2012, im Gregorianischen Kalender. Aber, Gott sei Dank: Keiner weiß etwas Genaues.