Ausgezeichnet: Mit voller Kraft in die Lebenswertigkeit

von Lorenz Trapp

Der Überfluss, mit dem die Natur unseren Planeten ausstattet, kennt sogar Leute, die ein Gesicht machen. Immer. Wenn du sie aber fragst, warum sie denn so ein Gesicht machen, streiten sie alles ab und patzen dich auch noch an: „Wenn ich tatsächlich Gesichter machen könnte, hättest du schon lange ein neues!“ Jawohl, einen ellenlangen Bart hat der Witz, ich schäme mich auch und verweise auf das Glück, dass es Menschen gibt, die sich Gedanken machen. Neue. Das ist legitim. Denn dies hier sei, so höre ich immer wieder, ein freies Land.

„Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken“. Auf einer gesunden Basis, so vermutete wohl Karl Kraus, der scharfzüngige Journalist aus dem letzten Jahrhundert, lasse sich aufbauen, und wir schließen uns dieser Auffassung an. Seit der LivCom Award wie ein gläsernes Orakel von Delphi die Herrschaft in der Stadt übernommen hat, sammeln sich Gedanken Purzelbäume schlagend in dem Ding, das aussieht wie eine chinesische Vase beim verzweifelten Versuch, der Welt nicht allzu wertvoll zu erscheinen.

ausgezeichnet

„Gute Gründe“ sprachen in Asien für die Stadt, und gute Gründe sprechen hier. Hochgeschoben auf der Skala, die den Wert des Lebens misst, wurden wir bereits vor zwei Jahren, als der Gedanke an die „Kleine Landesgartenschau“ keimte und Heinz Kindhammer, der Landschaftsarchitekt, ihn insistent wie ein gewissenhafter Gärtner so lange goss, bis er Früchte trug. Auch das „ecoQuartier“ des Initiators Theo Hirschberger, das in Weihern in die Realisationsphase tritt und Wohnen und Arbeiten in einer ökologisch, ökonomisch und sozial ausgeglichenen Dimension ermöglichen wird, hinterließ bei der Präsentation der Stadt vor der Jury in Seoul einen nachhaltigen und gewichtigen Eindruck. Das Vorhaben, dass Energie in Zukunft nicht nur dort, sondern in der gesamten Stadt, die momentan bei 50% rangiert, zu 100% regenerativ gewonnen werden soll, wurde mit dem Sonderpreis für Umweltschutz entsprechend gewürdigt.
Dass die „Kleine Gartenschau“ in der Umstrukturierung der „Grünen Linie“ durch die Stadt auch für Turbulenzen sorgen kann, zeigt die Diskussion um das Sportgelände. Macht ein neues Sportgelände, draußen vor der Stadt, tatsächlich Sinn oder scheitert dieses Großprojekt einfach nur an den finanziellen Kapazitäten der Stadt? Die „Bedarfsermittler“ wetzen schon die Messer. Ebenso scharf waren die Reaktionen, als die Stadt ankündigte, die Kindergartengebühren um 40% zu erhöhen. Gute Arbeit habe ihren Preis, argumentierte die Verwaltung, und weil wir doch irgendwie alle im selben Boot sitzen, rudern wir jetzt etwas bescheidener zurück und fordern von höherer Stelle höhere Förderung.
Wenn auch die Pendler am Bahnhof bei ihrem täglichen Ausritt in die fremde Arbeitswelt nicht alles so perfekt finden, wie sie’s mit Park- und Sitzplatz gerne hätten, loben sie doch die Kultur in der Heimatstadt. Der entsprechende Referent im Stadtrat, Steffen Kopetzky, wünscht sich wohl auch für die kommenden Jahre Events, die in der Liga jener legendären Beuys-Ausstellung mitspielen können. Ich jedenfalls glaube daran, und wäre ich nur annähernd so klug und – vor allem – so optimistisch wie Karl Kraus, ich würde jetzt freudig rufen: „Die Lebenswertigkeit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch das Leben.“