Auf geht’s beim Stiftl, beim Stocker, beim Spitzenberger

von Lorenz Trapp

Es mag Alliterationsnarren geben, die sich fragen, ob ein initiales S Bedingung ist dafür, in unserer – wie Bürgermeister Thomas Herker sie neuerdings zu nennen beliebt – schönen Kreisstadt an der Ilm die Funktion eines Festwirts auszuüben. Es sieht, ließe man sich die Namen der Festwirtsfamilien auf der Zunge zergehen wie ein Stückchen Schweizer Schokolade – Stiftl, Stocker, Spitzenberger –, fast so aus. Es sieht allerdings wirklich nur so aus. Wäre es so, ein Schrei der Entrüstung tobte durchs Ilmtal und forderte Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit wird ja immer gerne gefordert und noch lieber so lange diskutiert, bis sie sich leise hinter dem Horizont verabschiedet, als hätte es sie nie gegeben. Der Mensch aber mag nicht zweifeln: Gerechtigkeit ist ganz wichtig, nickt er beschwörend. Papperlapapp, nicht mal die Natur ist gerecht. Ich frage mich oft, warum die Natur es mit den Gesetzen der Optik so eingerichtet hat, dass ein Dummkopf, der vor einem steht, einen ganzen Hintergrund verdecken kann. Warum? Um mich zu ärgern? Nähme der optische Effekt eines Dummkopfs nur den Raum ein, der ihm zusteht, ich wär‘s zufrieden; aber der Dummkopf nimmt mir, wenn er nur nah genug herantritt, die Sicht auf den breiten Hintergrund. Das hat die Optik schlecht gemacht.

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Bestimmt haben Sie schon bemerkt, dass es hier eigentlich ums Volksfest geht, ein Fest, verlässlich wie Weihnachten, alle Jahre wieder, und dass es tatsächlich schon ganz nah an uns herangetreten ist, quasi vor der Tür steht. Auch wenn Sie die Tür noch aufdrücken können, viel anderes werden Sie nicht mehr sehen. Alternativ und Kräfte sparender dürfen Sie sich auch das Volksfestplakat vor die Nase halten, an der Sie sich von ubiquitärem Alternativlos-Gequatsche nicht herumführen lassen sollten.

Wie mir gerade per elektronischer Brieftaube mit Heimatschlag im Rathaus zugetragen wird, liefen vor 75 Jahren die Planungen für das Volksfest auf Hochtouren, Festwirt und Schausteller standen gleichsam Gewehr bei Fuß, als der Stadtrat am 3. September 1939 bekannt gab, dass das Volksfest ausfallen müsse: Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen. Und falls Sie sich zwischen zwei Volksfestbesuchen bei den drei S mal die Muße gönnen, im Fernsehen die Nachrichten zu konsumieren, werden Sie feststellen: Zumindest Teile davon hat man bis heute noch nicht wieder eingefangen.

Rund um den Globus peitschen Schüsse, schlagen Raketen ein, ziehen fanatische Krieger in weiß Gott welchem Namen marodierend durch fremdes Land, und da, wo’s noch einigermaßen ruhig funktioniert, diskutiert die Politik darüber, ob man diesem oder jenem Fleckchen Erde nun doch letale Waffen liefern solle – als würde der Bäcker in meiner Straße, der mich seit Jahrzehnten mit Brezen beliefert, anfangen darüber nachzudenken, ob er mich mit Brezen beliefern soll – nicht, dass ich damit Unfug treibe! „Kriege“, lässt Guy de Maupassant den geistreichen Musadieu in „Stark wie der Tod“ eine „erstaunliche Wahrheit“ verkünden, „Kriege werden in dieser Welt nur für den Frieden geführt“. Wer hätte das gedacht? Und Frieden kann man ja immer mal brauchen. In Anbetracht des Umstandes, dass jetzt lange genug daran herumgedoktert worden ist, beschleicht mich allerdings die Vermutung, seit Bismarcks und Maupassants Zeiten erquicke man sich am Üben.

Unser Volksfest dauert vom 5. bis zum 16. September 2014. Sollten Sie am ersten und am letzten Tag Raketen am Nachthimmel platzen sehen, beruhigen Sie sich: Es ist nur ein Feuerwerk, ein harmloses Feuerwerk. Wenn Ihnen aber jemand erklären möchte, es explodiere für Frieden und Gerechtigkeit, dann nutzen Sie die Zeit, sinnend in den strahlenden Himmel zu blicken und die Gedanken des so großen wie unbekannten chinesisch-holledauischen Philosophen Lao-Ren Tse zu reminiszieren: „Großzügig hat der liebe Gott auch der Dummheit erlaubt, plausible Sätze zu formulieren. Das hat er einfach schlecht gemacht. Trotzdem bleiben wir dran, solange es noch einen Unterschied gibt zwischen Eukalyptus und Apokalypse“.