Im espresso schwimmt das Glück

Dass die „13“ Glück bringt, ist ein alter Hut. Alte Hüte legt man ab, weg. Normalerweise. Doch hier gelten andere Gesetze. Hier in der No. 13 an der Münchener Straße gibt’s das noch. Und sollte das Glück ausnahmsweise mal nicht mit dem Lotto-Schein angeschwommen kommen, dann kann man es auf der Zunge spüren – per espresso.

Es laufen in der Stadt – man glaubt es kaum – Leute herum, die sich darauf konzentrieren, einen espresso nicht nur schnell über die Zunge zu jagen, sondern ihn – auch wenn sein Name den Eindruck erweckt, er könne nur ganz „pressant“ getrunken werden – genießen. Richtig: genießen. Tatsächlich hat der Name nichts damit zu tun, dass er unter hohem Druck hergestellt wird. Vielmehr leitet er sich ab vom italienischen Wort für „ausdrücklich“, denn früher wurde ein Espresso als „caffè espresso“ nur auf ausdrücklichen Wunsch serviert. So oder zumindest so ähnlich entwickelte sich die große Geschichte des espresso auch in der kleinen Welt der Lottoannahmestelle. Irgendwann forderte dort wohl ein Kunde den Beweis für die Leidenschaft von Thomas Breitner.

Leidenschaft in der Lottoannahmestelle? Thomas Breitner steht hinter dem Tresen, gibt einer Kundin den Schein zurück und drückt ihr auch die Quittung in die Hand: „Zeig s‘ deinem Mann, nicht dass er glaubt, du hast die Million eing’steckt – und einen schönen Gruß!“ Direkt neben ihm steht die Mühle, und neben ihr die Maschine. „Seine“ Maschine. Mittlerweile kennt er sie bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Damals half er bei einem befreundeten italienischen Wirt manchmal an der Theke aus, kam mit der Espressomaschine „in Berührung“ – und verlor sein Herz an sie. Denn ein guter espresso kommt nicht einfach so aus der Maschine, seine Qualität hängt nicht zuletzt auch von dem Menschen ab, der ihn zubereitet.

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Wie lange hält sich der Zucker auf der crema? Thomas Breitner beim legendären „Inseltest“

Die wichtigen „M“ in der Siebträgermaschine
Thomas Breitner kennt die fünf „M“, und er weiß sie zu würdigen, wenn er an seiner Maschine steht. Zur Zubereitung eines wirklich guten, cremigen espressos taugt allerdings nur eine Siebträger-Maschine, so eine, wie sie Thomas Breitner in seinem Laden pflegt. Heißes Wasser wird bei 88 – 94 °C und einem Ausgangsdruck von etwa 9 bar durch das Kaffeemehl gepresst – idealerweise 25 Sekunden lang. Läuft die Flüssigkeit schneller durch die Maschine, wird der espresso fade und sauer. Läuft das Wasser zu lange durch das Kaffeemehl, lösen sich hingegen zu viele Bitterstoffe: „Das wollen wir natürlich nicht!“

Das erste „M“ ist also die Maschine. Das zweite „M“ ist die Mischung, die Auswahl der Kaffeebohnen. Thomas Breitner legt Wert auf die Qualität, schon seiner Maschine zuliebe: „Aus einem schlechten Arabica wird natürlich kein guter caffè“, weiß er, und so achtet er auf Frische und sorgfältige Röstung – und holt zu einem Exkurs aus über die Lage auf dem Kaffeemarkt: „Kaffee wird auch immer teurer!“ Drei Euro etwa kostet das Kilo Rohkaffee zur Zeit, dazu kommt die Kaffeesteuer, und Thomas Breitner schüttelt – hier leicht resigniert – den Kopf: „Wir sind das einzige Land, das noch Kaffeesteuer erhebt – das glaubst du nicht!“ Wir glauben es; wir glauben auch, dass die Rös-tung noch dazukommt, und der Transport einer Palette Kaffee – 45 Kartons, das ist fast eine halbe Tonne – von Italien nach Deutschland schlage mit 160 Euro zu Buche: „Wenn dir also jemand ein Kilo Kaffee für 7,77 € verkauft“, fasst er – hier leicht lächelnd – zusammen, „dann kann das kein guter sein“.

Doch zurück zum „M“, zum dritten. Die Menge macht’s. Thomas Breitner nimmt – wie jeder gute barista – 7g Pulver für die Tasse. Ebenso wichtig ist das vierte „M“ im Bunde, der Mahlgrad. Nicht zu grob, nicht zu fein: Bei Thomas Breitner steht neben der Maschine eine Mühle, eine Mühle mit Geschichte. Eines Tages stand ein Kaffeevertreter in seinem Laden, der ihm den caffè Agust vorstellte, die Marke, auf die Thomas Breitner nun seit Jahren schwört: „Ich hab ihn probiert. Das war’s!“ Natürlich, gesteht er zu, gibt’s auch noch andere gute Sorten, Portioli nennt er, Bonomi und La Tazzad’oro, doch sein Herz schlägt für den Agust aus der kleinen Familienrösterei im norditalienischen Brescia. 40 Kilo musste er dem Vertreter sofort abnehmen, doch dafür bekam er auch – „zu einem günstigen Preis“ – die Mühle, die der Vertreter noch im Gepäck hatte: „In Einzelteile zerlegt, alles in einem Karton!“

Ein Elektrotechniker zwischen Lottoschein und m4-Schraube
In einer Stunde hatte er sie dann zusammengebaut, „die fünfzig Schrauben“, und wurde endgültig zum Kaffeefetischisten. Wer sich wundert, dass sich in einer Lottoannahmestelle so viel technisches Know-how offenbart, muss wissen, dass Thomas Breitner früher bei den Isar-Amper-Werken beschäftigt war – als Elektrotechniker, als „Halbingenieur quasi“, so nennt er es gelassen und erklärt auch gleich den feinen Unterschied: „Für den Ingenieur steht auf dem Gerät, dass es eine m4-Schraube ist – der Techniker schaut hin und weiß es!“ Vor sechs Jahren war Schluss mit dem Elektrotechniker und Thomas Breitner musste eine Entscheidung treffen: entweder arbeitslos oder selbstständig. Familiär bedingt wurde zu diesem Zeitpunkt in der Stadt eine Annahmestelle frei. Eine Lottoannahmestelle kann man ja nicht einfach so aufmachen: Ihre Anzahl ist durch Staatsvertrag geregelt und in Bayern auf 3700 Annahmestellen begrenzt. Dazu darf es in Städten nicht mehr als eine Annahmestelle pro 3000 Einwohner geben. Thomas Breitner bewarb sich und erhielt den Zuschlag.

Stets ein freundliches Wort für die Stammspieler
Ein Jahr später stellte er „seine“ Kaffeemaschine auf. Er bekam sie geschenkt; ein bisschen „verschlissen“ war sie, und er hat sie repariert: „Eine Woche Arbeit, 500 Euro inves-tiert – und jetzt glänzt sie!“ So sehr seine Liebe auch dem espresso gilt, so groß ist auch sein Verständnis für seine anderen Kunden: die Lottospieler. Professionell prüft er die Scheine, hat stets ein freundliches Wort nicht nur für Stammspieler, und oft entwickelt sich auch, während Scheine mit Kreuzchen und Scheine mit Eurobeträgen getauscht werden, ein beiläufiges Gespräch über Gott und die Welt und das Glück.

Ob die „13“, seine Hausnummer, Glück bringt? Es ist so eine Sache mit dem Glück: Die „13“, erzählt Thomas Breitner, war bei der ersten Lottoziehung im Jahre 1955 die ers-te Kugel, die überhaupt gezogen wurde, und seit damals ist sie die am wenigsten gezogene Zahl unter all den 49 Glücksbringern. Was lernen wir daraus? Thomas Breitner lächelt vielsagend und wendet sich dem fünften „M“ zu.

Der Zucker geht unter und der Geschmack bleibt
Das fünfte „M“ ist der Mensch, der Zubereiter des Kaffees. Er berücksichtigt den Härtegrad des Wassers, presst gefühlvoll, entsprechend dem Mahlgrad, das Kaffeemehl in das Sieb, hat Temperatur und Druck des Wassers mit Fingerspitzengefühl im Griff und beobachtet den espresso liebevoll, wenn er sich in die dickwandige, vorgewärmte Tasse ergießt – er soll ja nicht zu schnell auskühlen, vor dem Genuss. Es ist die sensible Abstimmung aller „M“, die einen espresso unverwechselbar macht, und Thomas Breitner hat keine Angst vor espresso-Puristen, die zur „Inselprobe“ in seine Lottoannahmestelle kommen: Beim Einstreuen von Zucker in den Espresso bildet sich eine „Zuckerinsel“, der der Kenner sinnend nachblickt, wenn sie, ganz allmählich, untergeht – dann ist die crema perfekt, und Thomas Breitner hat dazu das Seinige getan.

Und übrigens: Wem das Glück mit einem espresso nicht vollkommen genug ist, der kann ja immer noch einen Lottozettel ausfüllen.