von Claudia Erdenreich
Am schwarzen Brett, gleich neben dem begehrten Vertretungsplan mit der Hoffnung auf überraschende Freistunden hingen sie aus, die Opern- und Theaterfahrten für die Schüler. Fast wöchentlich gab es ein Angebot, alle großen Häuser in der Umgebung wurden besucht, ob Kammerspiele oder Nationaltheater, Herkules-Saal oder die Theater von Regensburg bis Augsburg. Mitfahren durfte jeder, der Lust hatte, durch alle Klassen und auch wer nicht „beim Kettner“ in der Klasse war. Sechs Mark hat damals der Eintritt gekostet, und noch mal sechs Mark für die Busfahrt. Mehr musste man dann als Schüler auch nicht machen, als pünktlich am Busbahnhof zu erscheinen. Im Bus versorgte Dr. Kettner uns mit den wesentlichen Informationen, las den Operführer vor, garniert mit zahlreichen Anekdoten. So vorgekaut war auch schwere Oper für die Schüler kein Problem mehr. Ganz selbstverständlich wurde so die Schwellenangst vor der großen Kultur genommen, was für den Lehrer ein großes pädagogisches Anliegen war. Ins Leben entlassen wussten die Schüler, wo sie in der Oper den Mantel abgeben können und wie man sich dort benimmt. Für viele der Grundstein einer lebenslangen Liebe zur Kultur.
25 Jahre sind eine lange Zeit und so lange ist es her, bis der Lehrer seine Schülerin wieder traf, die schon damals so gerne an den Theaterfahrten teilnahm. Und eigentlich hat sich gar nicht so viel verändert. Die Theaterfahrten finden unverändert statt und das große Interesse an Politik und Kultur ist bei der Schülerin seit den lange vergangenen Tagen des Leistungskurses Geschichte/Sozialkunde vorhanden.
Dr. Lorenz Kettner bei seiner jüngsten Lesung
Theaterfahrten und Lesungen
als pädagogisches Konzept
Den meisten Pfaffenhofenern ist er ein Begriff, zumindest denen, die sich für Kultur interessieren und allen, die am Gymnasium waren. Bei Generationen von Schülern hat er überzeugend und nachhaltig die Lust am Lesen geweckt und die Lust am Stoff vermittelt. Deutsch, Geschichte und Sozialkunde unterrichtete er 33 Jahre lang am Schyren-Gymnasium und auch kurz am neuen Hallertau-Gymnasium in Wolnzach, bevor er im letzten Jahr in den Ruhestand ging. Seine Schüler sind sich bis heute mehrheitlich einig: Beim Kettner macht der Unterricht in erster Linie Spaß, auch oder gerade weil er so viel verlangt. Ein unkonventioneller Lehrer im positiven Sinn, niemals chaotisch, immer voller Engagement und mit völlig selbstverständlicher Disziplin, ohne jemals streng zu sein. Seine Theaterfahrten sind längst Legende, die erste fand am 21.06.77 statt, und bis heute gab es mehr als 2000 – ein wahrlich nicht selbstverständliches Engagement für die Schüler und die Bürger.
Dabei war seine Grundidee ganz einfach und von simpler eigener Schüler-Erfahrung geprägt: Wird eine Klasse geschlossen ins Theater, ins Konzert oder in die Oper gezwungen, gibt es immer Schüler, die sich daneben benehmen, einfach weil sie gar keine Lust auf diesen Ausflug haben. Und das bedeutet zwangsläufig auch Stress für den Lehrer und die Mitschüler. Wer sich jedoch selber für eine Fahrt einträgt, klassenübergreifend, der hat auch Lust dazu und benimmt sich entsprechend. Für ihn war früh klar, dass er als Lehrer nicht etwa auf die von vielen gefürchteten Klassenfahrten verzichtet, sondern ein anderes Konzept verfolgt. Egal, ob Parsifal oder Allianz-Arena, es gab noch nie Disziplinprobleme, bemerkt Dr. Kettner wie selbstverständlich. Ganz so einfach ergab sich das sicher nicht, trotz des verblüffenden Konzepts. Ein großer Teil liegt in seiner Person begründet, die mit Präsenz, Witz und Wissen jede Situation erfasst. Die Nerven hat er nie verloren, wenn mal wieder einer bei der Rückfahrt den Bus nicht fand, und so ist in 33 Jahren zwar genügend für einen Band voller Anekdoten passiert, aber nie ein ernsthaftes Problem aufgetreten.
Vergnügliche Unterhaltung mit Christian Weigl, Lena Kettner und Nora Seiler
Anfangs waren die Erwachsenen nur „Füller“ für vorhandene Karten und Sitzplätze, heute hat sich das Konzept umgekehrt und verselbständigt. Seine Kulturfahrten sind eine Institution für einen festen Kreis, zu seinem großen Bedauern nun ohne Schüler. Die vorbereitenden Volkshochschul-Kurse besuchten anfangs um die 12 Interessenten, heute sind es stets 70 bis 80. Längst gibt es nicht mehr nur Opernfahrten in die nähere Umgebung. Tages- und Wochenendausflüge mit ausgefeiltem Kulturprogramm, ganze Urlaube bietet er an, sein Jahresprogramm umfasst mehrere Seiten und bei Überschneidungen kann er nicht mehr an allem selbst teilnehmen. Die Programmpunkte sind dabei straff und vielfältig, langweilig wird niemand auf den Fahrten. Inzwischen hat Lorenz Kettner das Angebot nochmals erweitert, Skifahren und gelegentliche Bayernspiele stärken die Gemeinschaft. Unumwunden gibt er zu, dass inzwischen viele Menschen, die ihren Partner verloren haben, seine Fahrten nutzen. Diese Menschen hätten keine Chance auf Opernkarten wegen der damit verbundenen Logistik. Die Vielfalt seines Angebots ist enorm, es werden auch einmal drei Münchner Häuser an einem Abend angefahren, und mit ein wenig Flexibilität klappt auch das.
Ein Lehrer aus Leidenschaft für Schülergenerationen
Begonnen hat alles ganz bodenständig: Lorenz Kettner wurde als Sohn eines Gastwirts und Hopfenbauern in Attenkirchen geboren, besuchte die damalige Oberrealschule in Freising. Sein Ziel, Lehrer zu werden, stand früh fest, und so genoss er nach dem Abitur 1963 sein Studium in München, unterbrochen von Semestern in Wien und Grenoble. Bei Prof. Karl Bosl promovierte er über die Geschichte des Hopfenbaus in der Hallertau und schnell verschlug es in nach Pfaffenhofen, anfangs noch nach Scheyern, wo es ihm sofort gefiel. An eine andere Schule wollte er nie, Lehrer war und blieb die ganze Zeit sein Traumberuf, den er nie als anstrengende Pflicht empfand, sondern als Freude, was er den Schülern auch vermittelte. Er hat alle Jahrgangsstufen gerne unterrichtet, die braven Kleinen genauso wie die aufmüpfigen Pubertierenden der Mittelstufe und die abgeklärten Fast-Erwachsenen der Leistungskurse. Wichtig war ihm stets nicht die bloße Stoffvermittlung, sondern das langfristige Ergebnis. Und was so altmodisch nach „für das Leben lernen wir“ klingt, gelang ihm: Die Schüler sollen freiwillig jeden Tag Zeitung lesen und gerne Bücher lesen.
Sein Engagement innerhalb der Schule ging dabei weit über den Unterricht hinaus. Nicht nur zahlreiche Theaterfahrten organisierte er in der Freizeit, sondern bis heute mehr als 60 Lesungen. Anfangs aus dem Unterricht heraus ist die Gruppe Lesezeichen – bestehend aus seiner Tochter Lena und den ehemaligen Schülern Nora Seiler und Christian Weigl – längst eine Pfaffenhofener Kulturgröße. Die jüngste Lesung füllte den neuen Rathaussaal bis auf den letzten Platz. Daneben wurde Theater nicht nur besucht, sondern auch selbst gespielt. Stolz ist er darauf, dass am Schyren-Gymnasium als eines der wenigen Gymnasium in Bayern jedes Jahr Lehrer und Schüler gemeinsam Theater spielten. Einen pädagogischen Volltreffer nennt er das, der neben dem gemeinsamen Spaß durch nichts aufzuwiegen ist.
Spaß auf beiden Seiten: Die Lesungen erheitern nicht nur das Publikum
Auch hier gab es als Ergebnis super Stimmung für alle und nie Probleme. Lorenz Kettner war immer auch außerhalb der Schule gerne Lehrer, er freut sich selbstverständlich, Schüler und Ehemalige auf der Straße zu treffen und so hat er neben dem Massenbetrieb des Schyren-Gymnasiums mit bis zu 1.500 Schülern auch den Start des Hallertau-Gymnasiums in Wolnzach freudig mitgetragen, wo am Anfang 80 Schüler und 12 Lehrer aufeinander trafen. Fast die schönste Zeit fand er dieses sehr persönliche Arbeiten.
Seine Frau hat er auch an der Schule kennengelernt und er gesteht freimütig, was jeder sich denkt, der ihn kennt: Sie hatte es nicht immer leicht mit ihm und seinem Engagement rund um die Uhr. Offen gesteht Lorenz Kettner auch den schweren Einschnitt, den der Ruhestand für ihn bedeutet. Sehr ruhig ist er nicht geworden und wird auch noch einige Jahre so weiter machen, aber das Unterrichten fehlt dem Lehrer mit Leib und Seele. Ein paar Vorteile erkennt er dann doch noch, so hat er früher Bücher stets mit dem passenden Tafelbild auf Verwertbarkeit im Unterricht gelesen, heute kann er mit reinem Genuss lesen, wenn auch stets auf der Suche nach passenden Texten für die Gruppe „Lesezeichen“, die auch in Zukunft mit spannenden und unterhaltsamen Lesungen auftreten wird.
Mit Spannung betrachtet Dr. Kettner den politischen und kulturellen Generationswechsel in Pfaffenhofen und sieht die Veränderungen sehr positiv. Es tut sich etwas in Pfaffenhofen, und dazu hat er als Lehrer und mit seinem Engagement für die Stadt seinen Teil beigetragen!