Ein Gerichtspräsident a.D. mit dem Pilgerstab

„Wenn die Hopfengärten abgeerntet sind und der Herbst beginnt“, so beschreibt die Hompage der Hallertauer Fußwallfahrt ihre Geschichte, „zieht ein ganzer Landstrich betend und singend zum Heiligtum der Gottesmutter nach Altötting. Begonnen hatte alles mit einem Gelübde, das der damalige Dekanats-Jugendführer Jakob Sellmair zusammen mit dem damaligen Benefiziat Kappenberger einlöste. Sollte beim Jugendbekenntnistag am 28. Mai 1961 schönes Wetter sein, so wollten beide mit einer Fußwallfahrt nach Altötting ihren Dank abstatten. Das Wetter beim Bekenntnistag, zu dem Hunderte von Jugendlichen im Wallfahrtsort Lohwinden zusammengekommen waren, ist schön geworden! Im Herbst desselben Jahres lösten beide ihr Versprechen ein. In einer Wallfahrergruppe von 11 Pilgern gingen sie von Wolnzach aus nach Altötting“.

So unspektakulär begann die Geschichte der Hallertauer Fußwallfahrt zur Gnadenkapelle nach Altötting. Schon ein Jahr später nahmen 51 Pilger unter der Führung von Pilgerführer Neumeier an der Wallfahrt teil, und jetzt im Jahre 2009, wenn am Freitag, dem 2. Oktober, morgens um 3 Uhr die Glocken der Pfarrkirche St. Laurentius ertönen, machen sich voraussichtlich mehr als 1700 Gläubige auf den 115 km langen Weg – zum 49. Mal.

Seit 1976 ununterbrochen dabei ist Ludwig Hierl. Der Pfaffenhofener hat im Jahre 2006 das Amt des Pilgerführers übernommen. Jetzt steckt er wieder mitten in den Vorbereitungen für die anstehende Wallfahrt – gerade dass ihm noch Zeit blieb, Ende August seinen 70. Geburtstag zu feiern. „So schlimm ist es auch wieder nicht“, lacht Ludwig Hierl, „schließlich habe ich ja Erfahrung im Organisieren!“ Diese Erfahrung sammelte der pensionierte Jurist nach der Wende, als er beim Aufbau der Sozialgerichtsbarkeit in Sachsen tatkräftig mithalf. Zur Wallfahrt kam Ludwig Hierl über Bekannte: „Sie hatten mir die Pilgerschaft so schön geschildert, dass ich es einmal ausprobiert habe – und nun möchte ich dieses Gefühl der Erlösung, der Befreiung, wenn man in Altötting einmarschiert, nicht mehr missen!“

Nach der Volksschule in Pfaffenhofen besuchte Ludwig Hierl das Gymnasium im Kloster Scheyern, zuerst als externer Schüler, doch als er nicht die nötigen Leistungen brachte, steckten ihn seine Eltern ins Internat. Das habe ihm gut getan, denn von da an habe er auch besser gelernt. Viel Latein und Griechisch stand im Humanistischen Zweig auf dem Stundenplan, und nach dem Dienst bei der Bundeswehr meldete sich Ludwig Hierl zum Jura-Studium an der Universität in München an.

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Vor der Wallfahrt: Ludwig Hierl sucht noch Entspannung im Garten

Nach dem Zweiten Staatsexamen trat er 1968 in den Staatsdienst ein. Ab 1970 war er Richter am Sozialgericht Augsburg, wechselte 1973 nach München, wo er 1980 am Landessozialgericht aufstieg in die Berufungsinstanz. „Das war eine schöne Zeit“, erinnert er sich, das Gericht befand sich in der Ludwigstraße, und der Englische Garten war nicht weit!“ Arbeitsunfälle, Unfallleistungen der Versicherungen, Probleme der Kassenärzte behandelte sein Gericht, und, so betont Ludwig Hierl, „gerade in Zeiten wachsender sozialen Not ist es wichtig, dass man vor Gericht klagen kann“. Wenn ein Arbeiter vom Gerüst fällt und die Unfallversicherung nicht zahlen will, weil er angeblich ein Tragl Bier getrunken hat, führt Ludwig Hierl als Beispiel an, dann kann der Bürger, wenn er die Ablehnung für ungerecht hält, zum Sozialgericht gehen, in einem gerichtskostenfreien Verfahren.

Zum Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht befördert wurde Ludwig Hierl 1989. Dort bearbeitete er hauptsächlich Fälle aus dem Kassenarztrecht, wenn es um Auseinandersetzungen zwischen der Kassenärztlicher Vereinigung und Kassenärzten z.B. um Honorarkürzungen ging.

Dann kam 1992 der Sprung nach Sachsen. Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung musste in den neuen Bundesländern die Gerichtsbarkeit nach sozialstaatlichen Richtlinien komplett neu organisiert werden, und Ludwig Hierl war zuständig für den Aufbau der Sozialgerichtsbarkeit in ganz Sachsen. „Ich erhielt ein kleines Büro in Chemnitz, ein Telefon und einen einzigen Mitarbeiter – mich selbst!“ Heute hat das Sächsische Landessozialgericht sieben Senate mit 22 Richtern. Nach seiner rein richterlichen Tätigkeit in Bayern war Ludwig Hierl nun Manager geworden. Er organisierte den gesamten Aufbau „vom Briefkopf über das Personal bis zum Gerichtsgebäude“. Gerne erinnert er sich zurück an diese Zeit, denn Sachsen hatte schon damals nicht nur politisch eine gewisse Nähe zum „schwarzen“ Bayern entwickelt.

Nach zehn Jahren Aufbau und Organisation rief den Präsidenten des Sächsischen Landessozialgerichts die Pension zurück in die bayerische Heimat. Die Wallfahrt hatte Ludwig Hierl übrigens auch in der sächsischen Ferne nie vergessen und stets hatte er die Zeit erübrigen können, seine jährliche Pilgerschaft wahrzunehmen. Seine Frau Elisabeth hat ihn zwar nach Sachsen begleitet und dort selbst nicht nur bei den obligatorischen offiziellen Anlässen „eine interessante Zeit“ erlebt, doch zur Teilnahme an der Hallertauer Fußwallfahrt konnte er sie nicht überreden: „Meine Frau ist kein Wallfahrer, aber sie unterstützt mich bei meinen Aufgaben als Pilgerführer“. Und während der Wallfahrt übernimmt sie den Telefondienst.

Auch wenn er selbst jetzt im Oktober zum 34. Mal mitgeht, diese 115 km zu Fuß, eingebunden in die Gruppe, sind immer wieder ein Erlebnis. „Als Pilger löst du dich vom Alltag“, sagt Ludwig Hierl, „das ist fast wie Urlaub“. Das gemeinsame Gebet unterwegs verdränge die Schmerzen, die die Blasen an den Füßen verursachen, und so gehe in der Gemeinschaft alles leichter. „Es gibt natürlich auch viel Gaudi und man lernt die Menschen kennen“, und genau diese Mischung aus Unterhaltung und Gebet bewirkt, glaubt Ludwig Hierl, dass nicht nur er es jedes Jahr wieder machen möchte.

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Am Ziel der Wallfahrt: Ludwig Hierl (v. r.) beim Einmarsch in Altötting

Und nun wird er die Wallfahrer zum vierten Mal als Pilgerführer begleiten. Jahr für Jahr hat die Zahl insbesondere der jungen Wallfahrer zugenommen und längst kommen die Pilger nicht mehr nur aus dem Raum Wolnzach, aus Mainburg und Umgebung. Das Internet führte dazu, dass Menschen aus dem gesamten bayerischen Raum und darüber hinaus zur Wallfahrt in die Hallertau anreisen. „Einmal war sogar ein Schwarzafrikaner dabei, aber“, schränkt Ludwig Hierl lächelnd ein, „der hat in Wolnzach gewohnt – und die Quartiersleute waren von ihm begeistert!“

Die Quartiere: Mittendrin steckt Ludwig Hierl in der Organisation für die anstehende 49. Hallertauer Fußwallfahrt: „Wir bemühen uns um die Sanitäter, die den Zug begleiten, wir organisieren die WC-Wagen, die zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort stehen müssen, denn wenn 1700 Pilger gleichzeitig ankommen, sind zwei Toilettenanlagen manchmal zu wenig“, schildert der Pilgerführer, und natürlich kümmert er sich auch um die Gaststätten, in denen die Pilger unterwegs einkehren. Letztes Jahr hatten sie, so erzählt er, eine Wirtschaft, wo die Bedienung bei jedem Pilger einzeln die Bestellung aufgenommen hat. Da dauerte es natürlich viel zu lang, bis das Essen auf dem Tisch stand, und in solchen Fällen muss Ludwig Hierl dem Wirt leider absagen: „Das gehört auch zu meinem Geschäft!“

Aber im Großen und Ganzen läuft es gut. Schließlich hat Ludwig Hierl über seine langjährige Teilnahme und dann auch als Gruppenführer, der eine Gruppe von etwa 200 Pilgern begleitet, genügend Erfahrung gesammelt, um die Wallfahrt nun, gemeinsam mit seinen Gruppenführern, komplett zu organisieren. „Schließlich müssen z.B. die Gruppen, die gesondert losmarschieren, zum richtigen Zeitpunkt auf den Hauptzug treffen“, und selbstverständlich werden alle Wege kurz vor der Wallfahrt abgecheckt: „Wenn Straßen wegen Baustellen oder anderen Gründen nicht begehbar sind, suchen wir natürlich eine Umleitung!“

Acht auf dem Weg nach Altötting liegende Polizeidienststellen hat er angeschrieben, und die Zusammenarbeit mit ihnen ist sehr kooperativ: „Sie sichern uns mit Polizeiwagen ab – sie fahren voraus und bilden zeitweise auch den Abschluss des Pilgerzuges“. So kann Ludwig Hierl der Wallfahrt, die am Sonntag, 4. Oktober, um 12 Uhr in der Basilika zu Altötting mit dem feierlichen Festgottesdienst ihren Höhepunkt findet, gelassen entgegensehen. Stolz ist er auch auf den „wunderschönen Wallfahrerchor“, der unterm Jahr mehrmals probt, um den Abschluss-Gottesdienst würdig zu gestalten.

„Die Zeiten“, schmunzelt Ludwig Hierl, „in denen man Pilger für Haderlumpen gehalten und hinterm Vorhang gewartet hat, bis sie durchgezogen waren, sind vorbei“. Heute haben sie viele feste Übernachtungsstellen, doch für neue Pilger Quartiere zu suchen, ist nicht immer einfach. Ludwig Hierl organisiert sie über die entsprechenden Pfarrämter, und wenn ein „kurz entschlossener Pilger“ am ersten Tagesziel, wenn sich alle anderen zu ihren Quartieren aufmachen, „übrig bleibt“, dann muss Ludwig Hierl eben auch vor Ort noch eine Lösung finden. Aber, so bittet der Pilgerführer, vernünftiger ist natürlich, sich vorher anzumelden.

„Die Wallfahrt“, sagt Ludwig Hierl mit einem Augenzwinkern, „ist praktisch ein Abenteuer – nicht nur für den Pilgerführer!“ Aber er hat ja bei seinen Vorgängern Hans Schwarzhuber und Alfons Winter vieles gelernt, und so meistert der Pfaffenhofener die Aufgabe wohl auch bei seiner vierten Wallfahrt als Pilgerführer. Er als Pfaffenhofener habe auch keine Probleme mit den Wolnzachern, die ja den Großteil der Pilger stellen, und die Wolnzacher haben auch kein Problem mit ihm, der schon so lange dabei ist und zu seinen Vorgängern ein sehr gutes Verhältnis hat: „Über die Pilgerschaft“, so fasst es Ludwig Hierl mit Fug und Recht zusammen, „bin ich ja ein Wolnzacher geworden!“