„Verstehen Sie Spaß?“ Pfaffenhofen wird im Fasching kaum auf die Probe gestellt

von Hellmuth Inderwies 

„Solang der Fasching währt, verehren wir die Lüge. / Der Rolle treu, mit lächerlichem Ernst, / Den süßen Rausch des Haufens nicht zu stören.“ Man muss Friedrich Schillers „Don Carlos“ (I, 9) nicht unbedingt zustimmen, wenn er die närrischen Tage mit dem Emblem einer inszenierten Theaterklamotte mit niedriger Moral versieht, wo sein Dichterkollege J. M. R. Lenz sich eine Welt ohne Narren überhaupt nicht vorstellen kann, eine solche zumindest als viel langweiliger einschätzt (Pandaemonium Germanicum, I,2), und der heilige Paulus sich als Apostel gar selbst zu den „Narren um Christi willen“ (1. Kor. 4,10) zählt. Ohne Zweifel gehört die „fünfte Jahreszeit“, in der der ausgelassenen Lebensfreude in besonderem Maße gehuldigt werden soll, mit ihren uralten Sitten, Bräuchen und Narreteien zu den ursprünglichsten kulturellen Errungenschaften der Menschheit.
Es fehlt an Engagement,
Courage und Einfallsreichtum

In Pfaffenhofen gerät man kaum in Gefahr, davon allzu sehr betroffen zu sein. Hier dümpeln die Faschingswochen so vor sich hin, ohne dass etwas wirklich Prickelndes oder Aufregendes geschieht. Lässt man den Ball der Schäffler und Musikanten, den nur im Zweijahresturnus stattfindenden der Kath. Stadtpfarrei und den der Liedertafel, der mangels geeigneter Räumlichkeiten auswärts über die Bühne geht, außer Acht und sieht von ein paar Kinderveranstaltungen ab, so tut sich in der Kreisstadt seit Jahren sehr wenig, was ihre Bürger in den Ruf bringen könnte, dass sie am Fasching ihren Narren gefressen hätten. Ein Karnevalsverein existiert nicht. Den Verantwortlichen des Theaterspielkreises, der früher mitunter in seiner Programmgestaltung auf diese Zeit Rücksicht genommen hat, fehlt es heute wohl an der notwendigen Courage und an Einfallsreichtum. Andere Vereinigungen, wie Pro Wirtschaft oder der Kunstverein, sind zu sehr auf ihre speziellen Satzungsziele fixiert. Ein geeigneter Saal für große Bälle steht nicht mehr zur Verfügung. Ein Faschingszug, in den alle öffentlichen Institutionen und Interessengruppen eingebunden werden können, fand in der Vergangenheit ohnehin nur selten und nunmehr seit mehr als drei Jahrzehnten überhaupt nicht mehr statt. Diejenigen, die gegenwärtig wohl alleine imstande wären, die Durchführung zu übernehmen (Und das sind in erster Linie die Sportvereine!), konnten ebenso lang nicht mehr mit einer Unterstützung der Stadt rechnen. Diese wiederum beschränkte sich auf das nicht gerade attraktive Faschingstreiben auf dem Hauptplatz, das gewissermaßen den Schlussakkord der Faschings­aktivitäten vor dem Aschermittwoch bilden soll. Wozu „Schlussakkord“? fragt man sich. Man könnte darauf ebenso gerne verzichten wie auf eine zwischen den parkenden Fahrzeugen eingeklemmte Eisstockbahn, auch wenn diese heuer vielleicht zu den Scherz-angeboten der närrischen Zeit gehören sollte. Da sind, wenn es um die Feier der fünften Jahreszeit geht, kleinere Orte und Gemeinden in der Nachbarschaft (vor allem im oberen Ilmtal) weit rühriger. Ihre Karnevalsvereine mit den zahlreichen Auftritten sehenswerter Prinzengarden, mit Faschingsbällen, Faschingszug und großem Kehraus sorgen dafür, dass die Bewohner der Region wenigstens nicht ganz der „Faschingsmuffelei“ bezichtigt werden können.

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Faschingsumzug am Hauptplatz 1955

Wer nicht abgewatscht wird,
darf zu Recht beleidigt sein
Gewiss hat vor allem in den südlichsten Regionen der Republik allenthalben der Fasching an Zugkraft verloren, während er in den Zentren nördlich des „Weißwurstäquators“ geradezu boomt. Bayern schaut heutzutage nach Veitshöchheim, jener 10 000 Seelen-Gemeinde bei Würzburg, wo sich die „High Society“ des Freistaats nun schon seit einigen Jahren versammelt und sich die Abreibung für ihr Sündenregister abholt. Wer hier nicht deftig abgewatscht wird, darf zu Recht den Beleidigten mimen, weil es ihm ganz offensichtlich an gesellschaftlicher Reputation gewaltig fehlt und nicht einmal seine Fehlleistungen von einer breiteren Öffentlichkeit registriert werden. Das gilt vor allem für die hohe Politik. Dass die Freien Wähler da noch lange nicht zu den Etablierten gehören, war heuer der Miene ihres Vorsitzenden Hubert Aiwanger, der sich der Publicity wegen wohl bewusst in vorderster Front präsentierte, ohne Mühe zu entnehmen.

Und die bayerischen Liberalen müssen auch erst wieder richtig Fuß fassen, wenn sie bei der närrischen Prunksitzung in Franken, die mittlerweile die höchsten Einschaltquoten der dritten Fernsehprogramme erzielt, über eine Statistenrolle hinauskommen wollen. Von denen dahinter kann ohnehin keine Rede sein. Früher stand die Landeshauptstadt München selbst im Brennpunkt des närrischen Geschehens. Doch gehört zwischenzeitlich die einst Aufsehen erregende Vielzahl großer Bälle im Haus der Kunst, im ehemaligen Regina-Palast-Hotel, im nicht mehr existierenden Bürgerbräukeller, im Deutschen Theater, im Bayerischen Hof und im Hofbräuhaus, die von Verbänden, Innungen, Unternehmen, Studentenvertretungen für ein breites Publikum veranstaltet wurden, längst der Vergangenheit an. Sieht man vom Chrysanthemenball mit ohnehin geladenen Gästen, dem Mediziner- und Jugendball und dem Tanz der Marktweiber am Viktualienmarkt ab, so sind zumeist nur lokale Veranstaltungen in den einzelnen Stadtteilen und das für die mehr als bedürftige Stadt München äußerst notwendige Geldbeutelwaschen am Aschermittwoch übrig geblieben. Trotz solch rückgängiger Entwicklung stehen aber immer noch zahlreiche Aktivitäten auf dem Faschingskalender, während sich die Landkreishauptstadt Pfaffenhofen in dieser Hinsicht zum Diasporazentrum der Region gemausert hat.

Woran mag es liegen? Sind Ausgelassenheit, Spaß und Lebensfreude hierzulande dem Menschen abhanden gekommen, wie es einst Kurt Tucholsky von allen Deutschen vermutete? Hat man das Lachen verlernt, vor allem jenes über sich selbst, über die eigenen Marotten und Unzulänglichkeiten? Wer regelmäßig Stadtratssitzungen besucht, könnte fast diesen Eindruck gewinnen. Allzu schnell werden bei einer zumeist recht ernsthaft-sterilen Atmosphäre humorige und ironische Bemerkungen als Kränkungen empfunden, zumal man ja nicht in den Verdacht geraten darf, nur die kleinste Schwäche zu besitzen, um in der nächsten Legislaturperiode auf jedem Fall diesem Gremium wieder anzugehören. Dabei ist nach Arthur Schnitzler der, der Humor hat und zugleich den überlegenen Humor anderer mit Gelassenheit ertragen kann, fast schon ein Genie. Oder liegt es vielleicht daran, dass in der Narrenwelt mit der Narrenfreiheit auch die Narrengleichheit gewährleistet ist?

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Faschingstreiben unterm Kirchturm im Jahre 1973

Extreme Ausschweifungen
als Aktivität des Bösen

In der Tat gab es schon unter den Vorläufern des Faschings im babylonischen Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris vor mehr als 5000 Jahren ein mehrtägiges Fest, bei dem Diener und Gebieter gleichgestellt waren. Ähnlich verhielt es sich bei den feuchtfröhlichen römischen Saturnalien mit ihren aufwändigen Umzügen. Herr und Sklave tauschten die Rollen und der Untergebene konnte die Freiheit des Wortes ungestraft dazu nützen, um einmal im Jahr seinen ganzen Frust loszuwerden. Im Mittelalter praktizierte man auch in der christlichen Kirche einen ähnlichen Brauch, indem am 6. Januar, dem Tag der Erscheinung des Herrn, im Rahmen von „Narrenfesten“ der niedere Klerus Rang und Rechte der höheren Geistlichkeit übernahm und mit ihr seinen Spott trieb. Es sollte dies wohl auch ein Fingerzeig darauf sein, dass Ämter und Würden nicht für ewige Zeiten verliehen sind.

Da solcher Brauch nicht selten den Anstoß zu extremer Ausschweifung bot, sah man in diesen Narrenfesten bald eine Aktivität des Bösen, das augenscheinlich in das Leben des Menschen hineinwirkte. In dieser Epoche galt allenthalben noch das augustinische Weltbild, nach dem der Staat des Teufels (civitas diaboli) und der Gottesstaat (civitas dei) auf der Erde (civitas terrena) um die Herrschaft kämpfen, wobei letztendlich das Böse besiegt wird. Geht man vom heidnischen Brauch der Vertreibung des unwirtlichen und feindlichen Winters aus, bei dem man sich die Masken von Schreckgespenstern anlegte, mit Stöcken wild um sich schlug und möglichst großen Lärm und Krach verursachte, um der ersehnten warmen Jahreszeit zum Einzug zu verhelfen, dann steckt eine ähnliche Vorstellung dahinter. Heidnisches und christliches Gedankengut und Brauchtum vermischten sich also, wie auch in vielen anderen Bereichen des Lebens, und wurden von der Kirche den eigenen religiösen Grundsätzen und Zielsetzungen angepasst und nutzbar gemacht.

Im Narrengewand ein bisschen
über sich selbst lachen

An moralisch-sittlichen Bedenken kann es demnach in Pfaffenhofen gewiss nicht liegen, dass die fünfte Jahreszeit verstreicht, ohne allzu markante Spuren zu hinterlassen. Wer soll freilich Impulse setzen? Vor allem die Politik müsste nicht erst auf die Fastenzeit mit dem Starkbieranstich auf dem „Stockerberg“ warten, um sich hierbei unmaskiert vom „Fleisch zu verabschieden“ („Karneval“ leitet sich wohl davon her!), sich im Sinne des Konzils von Benevent (1091) von den „Stachelbären“ ein wenig zumeist „harmlose“ Asche aufs Haupt streuen zu lassen und zugleich enttäuscht zu sein, wenn man bei dieser Gelegenheit nicht angemessen gewürdigt wird oder sich zu echauffieren, wenn man sich von einem vermeintlich zu spitzen satirischen Pfeil getroffen fühlt. Es würde gerade eben den Politikern hierzulande sehr gut zu Gesichte stehen, in den Wochen und Monaten zuvor schon mitunter in ein Narrengewand zu schlüpfen, um zusammen mit den Bürgern Pfaffenhofens auf gleicher Ebene zum Lachen zu kommen. Und dabei vielleicht auch ein bisschen über sich selbst zu lachen! Aber dazu wird es wohl vorab (und wieder einmal!) des Baus einer Tiefgarage am Hauptplatz bedürfen, um hier in dunkler Abgeschiedenheit zunächst ungestört das Lachen üben zu können.