Kunst ist in der Gegenwart nicht immer das, wofür sie sich hält. Und das ist vorweg dann der Fall, wenn sie mit maßlosen Übertreibungen ästhetisches Empfinden missbraucht oder sich sensationsheischend zum spekulativen Selbstzweck macht und hierbei allzu frivol auch noch künstlerischen Anspruch erhebt. Vor allem bei der Fotografie ist diese Gefahr sehr groß, zumal sie im Alltag weitgehend der Information, der Dokumentation und der Werbung dient und ihr zudem nicht selten der Ruf vorauseilt, dass die Perfektion einer Aufnahme in hohem Maße vom Grad der Automatisierung der benutzten Geräte abhängt.
Pierre Bourdieu, der französische Sozialphilosoph, hat sie gar als „illegitime Kunst“ bezeichnet, vor allem, wenn es sich um die „schöpferische Tätigkeit“ von Amateurfotografen handelt, wie man ihr heutzutage sehr oft in sozialen Netzwerken begegnet. Wer allerdings einmal bei einer Jahresausstellung der Fotofreunde vhs Pfaffenhofen, die seit langer Zeit zum städtischen Kulturprogramm gehört, zu Gast war, der wird sehr schnell vom Gegenteil überzeugt sein.
17 Künstler – 35 Werke
Auch im Jahr 2017 kann diese Arbeitsgemeinschaft in der Galerie im „Haus der Begegnung“ mit einer Präsentation von 35 Werken aufwarten, die höchsten Ansprüchen künstlerischen Schaffens gerecht werden. Die außerordentliche Vielfalt grundverschiedener Themen, Motive und Arbeitstechniken der beteiligten 17 Künstler lässt sich verständlicherweise keinem Rahmenthema unterordnen. Trotzdem vermittelt die Ausstellung dem Besucher ein hohes Maß an Harmonie und Ausgewogenheit, weil sich keines der Exponate anbiedert oder gar prostituiert. Nicht Aufdringlichkeit, sondern Eindringlichkeit bestimmt ihr Wesen, nicht Übertreibung und Überzeichnung, sondern eher Zurücknahme und Reduktion. In einer Zeit, in der vor allem in der darstellenden und bildenden Kunst vielfach der Holzhammer als methodisch-didaktisches Werkzeug zur Vermittlung einer oft propagandistischen Aussage und Intention dient, um dem Rezipienten auf jeden Fall den richtigen Weg zu weisen, ist es für den Betrachter der hier gezeigten Fotografien eine Wohltat, nicht bevormundet zu werden, sondern lediglich einen spürbaren Impuls zu erhalten, um Zugang zu ihnen zu finden, sich selbst über sie Gedanken machen zu dürfen und mit ihrer Hilfe eine neue Welt zu entdecken. Unverständlich, dass von einem städtischen Kulturmanager bei seiner einführenden Laudatio die Begriffe „Hobby- und Profifotograf“ überhaupt in den Mund genommen wurden!
Anton Ritzer: Straßberger Weiher
Da bannt Ernst Hillisch auf seiner Reise nach Agadir nicht die Kasbah, die Festung, als das Wahrzeichen der Stadt mit Blick auf Hafen und Küste ins Bild, wo 1911 im Rahmen der 2. Marokkokrise auf Geheiß des deutschen Kaisers Wilhelm II. beim berühmten „Panthersprung“ ein Kanonenboot landete, sondern er thematisiert den „Strandnebel“, der diese Machtdemonstration des historischen „Säbelrasselns“ scheinbar verschluckt hat. Ein paar Wanderer und ein auf den Kopf gestelltes und damit stillgelegtes Fahrrad werden zur Metapher eines ruhigen, schemenhaften und hintergründigen Daseins, das nur schwer zu durchschauen ist. Da führt Anton Ritzer den Betrachter in heimatliche Gefilde, zum „Straßberger Weiher“ am südlichen Rand des Dürnbucher Forstes. Zwischen Geisenfeld und Münchsmünster findet sich dieses größte Fischzuchtgewässer der Region. Und es bietet dann, wenn es im Herbst abgefischt ist und das Wasser in Mäandern wie bei Prielen im Wattenmeer abläuft, strenge geometrische Formen in einer ausgesprochenen Naturlandschaft.
Ernst Hillisch: Strandnebel in Agadir
Mit „Sal de Ibiza“ führt Peter Weidel den Betrachter hin zu den berühmten Meeressalzfeldern auf der Baleareninsel und demonstriert, welch gewaltige Wirkung die allenthalben als monoton empfundene weiße Farbe eines Salzgartens entfalten kann, wenn nur Spuren von Bearbeitung vorhanden sind, wie sie beim Abbau entstehen oder wie sie die Natur selbst schafft, während Tim Santana mit seinem „Tunnelblick“ anhand vielfältiger linearer Strukturen moderner Technik, hervorgehoben durch den Kontrast von Schwarz und Weiß, die konzentrierte Einengung des menschlichen Gesichtsfelds vor Augen führt. In modernen Großgaragen bzw. in Hochregallagern von Autofabriken begegnet man diesem Phänomen und denkt unwillkürlich an Fritz Dürrenmatts berühmte Kurzgeschichte: Unentrinnbar ist der Mensch bei solcher Perspektive seinem Schicksal ausgeliefert. Es gibt für ihn keinen Ausweg. In Clemens Fehringers Abbildung eines schon recht betagten Ruderboots in „Chioggia“, einer auf Holzpfählen errichteten uralten Stadt an der Lagune von Venedig, wird ein historischer Gewerbezweig symbolhaft veranschaulicht. Es ist der Fischfang. Er spielt in Carlo Goldonis Komödie „Viel Lärm in Chiozza“ (1761) eine zentrale Rolle, um das provinzielle Leben dieser Stadt zu beleuchten. Von 40 000 Bewohnern sind in seinem Schauspiel 30 000 weiblichen Geschlechts. Wegen der männlichen Eskapaden artet der ständige Liebeskummer der Fischerfrauen in einen Kleinkrieg aus, der nur durch Verheiratung beendet werden kann.
Richard Kienberger: Gezeichnet 1
„Schwarz-Weiß“ bildet den Grundtenor der Exponate der Ausstellung. Farben treten durchwegs nur sehr sparsam in Erscheinung. Sie allzu sehr zu betonen, würde bei den meisten Bildern die Motivik erheblich beeinträchtigen. Dies gilt vor allem für Philipp Hayers „Ray of Light“. Der Sonnenstrahl, der in den dunklen Gewölberaum eines gotischen Doms eintritt, würde seine Wirkung nahezu gänzlich verlieren. Das Licht wurde in jener spätmittelalterlichen Epoche als gestalterisches Element der Baukunst genützt. Es dient als Bindeglied und Vermittler zwischen der Außen- und Innenwelt des Gebäudes, das Spitzfenster wiederum symbolisiert das Tor zwischen beiden Bereichen. Die Schöpfungsgeschichte wird ins Bild umgesetzt: „Es werde Licht!“. Auch Richard Kienberger reduziert in seinen beiden Fotografien „Gezeichnet 1“ und „Gezeichnet 2“ die Farbe auf ein notwendiges Maß, um die Motivik der Tattoos, die heutzutage vor allem junge Menschen „ziert“, hervorzuheben. Ein persönlicher Stil, Ästhetik, Sexualität usw. usw. werden damit zur Schau getragen. Der Titel der Werke soll wohl auch die Zweideutigkeit solcher Modeerscheinung zum Ausdruck bringen.
Eines der wenigen Farbbilder der Ausstellung, das auf Grund seines Inhalts nur so gestaltet werden kann, stammt von Klaus Tutsch: „Die Versuchung“! Die für den Künstler typische witzig-ironische Darstellung steigert Anreiz, Verlockung und Erwartung auf das Bevorstehende und den Wunsch, dass es in Erfüllung geht, zumal nur einige gegenständliche bzw. weibliche Attribute der Verführung symbolhaft in Erscheinung treten. Jean-Paul Belmondo soll sie einmal mit einem Parfüm verglichen haben, das man so lange riecht, bis man die Flasche haben möchte. Diese allerdings versteckt sich hinter einem bunten Paravent.
Kulturelles Highlight der Stadt
Wenn bei der Vielzahl der Werke dieser Ausstellung hier nur wenige kurz betrachtet werden, so soll dadurch keineswegs zum Ausdruck kommen, dass die künstlerische Qualität der anderen Exponate nicht das gleiche hohe Niveau aufweist. Das Titelbild von Johannes Leber „Monduntergang und Nach(t)spiel“ ist beispielgebend für alle Werke, mit denen die Fotofreunde vhs Pfaffenhofen bei ihrer diesjährigen Präsentation einmal mehr bestätigen, was der Kulturreferent der Stadt in seiner Laudatio hervorhob, als ihnen 2003 der Kulturförderpreis verliehen wurde: „Sie sind kreative Künstler und nicht nur laienhafte Reproduzenten. (…) Wer in der Auflistung der Annahmen, Medaillen, Urkunden und Sonderpreise der einzelnen Mitglieder herumblättert, der hat das Gefühl ein Telefonbuch in der Hand zu halten.“ Die bei weitem erfolgreichste Arbeitsgemeinschaft der Stadt hat mit der Jahresausstellung 2017, die noch bis zum 30. April zu besichtigen ist, ein weiteres kulturelles Highlight gesetzt.
von Hellmuth Inderwies