Durch die Stadt mit Titeln und Denkmälern, Schildern und Preisen

von Lorenz Trapp

Schwindlig möchte jenem werden, der sich schnell durch die Stadt bewegt. Schwindlig nicht, weil er alles sehen will, sondern schwindlig, weil es so viel gibt, das gesehen und beurteilt werden möchte. Kopf nach links: die Fanny Schäch; Kopf nach rechts: der Flaschl-Turm; Augen geradeaus: das Denkmal im Bürgergarten; Augen gleich daneben: das Farbenspiel am Haus der Begegnung; Augen nach oben: der Bürgermeister in Äthiopien; Augen raus: das LivCom-Schild am Straßenrand.

Wo fangen wir an? Beim Schild! Erst mal müssen wir wissen, wo wir uns befinden. Für den Fall, dass einige es schon wieder vergessen haben, empfehle ich eine Fahrt von Eberstetten ins Zentrum. Idyllisch im Gebüsch vor der dunklen Unterführung heißt die Tafel „Willkommen“ und weist außerdem darauf hin, es sei der Besuch eines Grünen Marktes an den Diens- und Samstagen möglich, der „City Gutschein“ sei „eine raffinierte Geschenkidee“ – und, mitten im Blau, eine goldene Marke mit dem Zusatz „Ausgezeichnet lebenswert“.

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Ich habe es schon seit längerem nicht mehr so mit den Zusätzen. Ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg trug den Zusatz „Dr.“ am Revers, der sich als lediglich an den glasfaserigen Haaren digitaler Verbindungen herbeigezogenes, unrechtmäßig angeeignetes Etikett herausstellte, und momentan sieht sich die Deutsche Bildungsministerin in der Bredouille. Hat Annette Schavan dunkle Flecken auf dem Doktor-Zeichen, oder stimmt gar ihre Aussage, sie habe in ihrer Doktorarbeit „nicht bewusst getäuscht“? Wie? Unbewusst? Unterbewusst? In welchem Zustand schreiben diese Leute eigentlich ihre Dissertationen? Noch irritierender: In welchem Zustand befinden sich jene, die diese Titel verleihen?

Das Nobel-Komitee verlieh den diesjährigen Friedensnobelpreis an die Europäische Union. Der Preis ist mit einer guten Million Euro dotiert, die das Europäische Parlament stellvertretend für 500 Millionen EU-Bürger im Dezember in Oslo entgegennehmen werde. Meinen 0,002-€-Anteil am warmen Geldregen können sie behalten und gleich ihre Reisespesen abdecken. Oslo ist ein teures Pflaster. In der Begründung des Nobelkomitees hieß es übrigens, die EU habe zur Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beigetragen. Genauso gut könnte man einen Bürgermeister dafür auszeichnen, dass er gut bürgermeistert.

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Apropos Bürgermeister: Dem hätte Sigi Zimmerschied, einer der wenigen noch lebenden Kabarettisten, die diesen Titel tatsächlich verdienen, die Leviten gelesen. Es bringe wohl schon einen gewissen Trost, angesichts fehlender KiTa-Plätze, jugendlicher Alkoholprobleme und genereller Bildungsmisere im eigenen Land nach Äthiopien zu fliegen, um dort mit Pfaffenhofener Spendengeldern eine Schule in einem der ärmsten Länder der Welt zu eröffnen; so mies ist es bei uns ja gar nicht, relativ betrachtet, und die schwarzen Kinder sind ja so leicht glücklich zu machen.

Sigi Zimmerschied, der Meister der scharfen Zunge, gastierte übrigens im Haus der Begegnung, in einem Gebäude, das einen neuen Anstrich braucht. Nachdem aber die deutsche Seele schwer traumatisiert ist von einem Anstreicher, der tausend Jahre auf grobe zwölf zusammenstrich, kann man sich im Stadtrat noch nicht für eine Farbe entscheiden. Braun geht gar nicht, abgesehen davon haben wir Braun schon am kontrapunktischen Rathaus, und was Helles? Keine vorzeitigen Entscheidungen, denn: Neben dem Haus der Begegnung soll ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus (Sie erinnern sich, der Anstreicher) entstehen; lokale Künstler haben bereits Entwürfe eingereicht, alles jedoch ist noch geheim, Komitees möchten noch tagen, begutachten, ein Urteil abgeben, irgendwann entscheiden, welcher Denkmal-Entwurf realisiert wird. Dann erst konstituiert sich das Farben-Komitee, dann flugs entscheidend, auf dass die Farbe des Begegnungshauses zum Denkmal passe wie dieses zu den Opfern.

Geopfert wird das museale Vermächtnis des Dichters Joseph Maria Lutz. Das Internet, das alles kann, soll es zukünftig verwalten, und sein Flaschl-Turm wird wohl als Dichter-Herberge enden. Da bleibt uns nur noch die Schäch Fanny, der definitiv beides zusteht, ein Titel und ein Denkmal. Zumindest das Areal dafür im Kreisel ist bereits gepflastert, und wer Ohren hat zu lauschen, der wird sie immer noch hören: „A gsunds Fundament is wenigstens a guade Basis!“

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